Annelise Halder-Zwez, 4.9.76

Anderes, das man als Bescheidenheit interpretieren könnte, empfindet Peter Mieg selbst allerdings ganz anders. Dass er z.B. kein Radio und kein Fernsehgerät besitzt, hat seinen Grund vielmehr darin, dass er gar nicht bereit ist, sich von der Informationsflut erdrücken zu lassen, dadurch möglicherweise aus dem Gleis seines sehr persönlichen und auf seine körperlichen Kräfte ausgerichteten Lebensrhythmus geworfen zu werden. Peter Mieg öffnet die Schleusen für neue Eindrücke immer nur so weit, wie er sie zu «prestieren» glaubt. Diese von wenig Empfindsamen manchmal etwas belächelten Eigenheiten gehören freilich nicht erst, seit Alter und Gesundheit mitdiktieren, zum Lebensbild des sensiblen, immer etwas kränkelnden Künstlers, sondern haben ihn in unterschiedlichem Masse seit jeher geprägt. Unmut über manchmal nicht eingehaltene Versprechen muss zurückstehen vor der Einsicht, dass Peter Mieg sein künstlerisches Werk wohl nur weiterführen kann, wenn er ihm genügend Lebensraum gibt, wenn er den Alltag und das «flüchtige» Tagesgeschehen nur so weit in seine Welt eindringen lässt, wie es ihm tunlich erscheint.
Peter Mieg deshalb als Egozentriker zu bezeichnen, wäre falsch und übertrieben, denn es ist zweifelsohne echt empfundenes Bedauern, wenn er jemanden abweisen, aus Gesundheitsrücksichten von einer Verpflichtung zurücktreten muss; denn so sehr er auf sich selbst und sein Wohlbefinden ausgerichtet lebt, so belastet ihn doch sein Pflichtgefühl vieler noch nicht ausgeführter Kompositionsuafträge sehr. [...] An einem Tag entstehen oft nur wenige Takte, und erst wenn diese kleine Folge von Takten die knappstmögliche Form dessen, was er erklingen lassen möchte, erreicht habe, erlaubt er sich weiterzufahren. Doch dann ist es meistens schon wieder Zeit, etwas anderes zu tun.
Vielleicht ein wenig ausruhen von der Erregung des schöpferischen Schaffens, vielleicht auch einen Brief schreiben an einen seiner vielen Freunde in der ganzen Welt. Peter Mieg liebt es, auf dem Wege der Korrespondenz Gespräche zu führen, Gedanken zu formulieren, denn so ist er mit seiner Welt allein, ohne gestört zu werden es sei denn, das (ihm im Grunde wohl verhasste) Telefon klingle schon wieder. [...] Peter Mieg war nie ein sehr geselliger Mensch, doch er liebt es, sich mit den Besuchern, die aus der ganzen Welt zu ihm kommen, zu unterhalten. Eine Causerie mit Peter Mieg ist ein Erlebnis, seine gepflegte, vornehme, von Geist und Witz getragene Sprache gibt seinen Erzählungen besonderen Charakter.
Obwohl Peter Mieg sehr gerne mit sich selbst allein ist, bringen es sein Engagement für das kulturelle Geschehen seiner Zeit und auch seine feuilletonjournalistischen Verpflichtungen mit sich, dass man seine unverwechselbare Gestalt an Vernissagen, Konzerten usw. in und um Lenzburg antrifft. Oft huscht er kurz vor dem ersten Konzertklang in die Kirche, setzt sich still auf den reservierten Platz und versinkt in die Klangformen der Kompositionen, hört sich mit scheinbar teilnahmslosem Gesicht die musikalischen Interpretationen an. Man erkennt ihn dann eigentlich nur noch am dicht um den Hals geschlungenen roten Schal.