Hermann Hesse (1877-1962)

Herzog lernte Hermann Hesse vielleicht in einem der von ihm frequentierten Grandhotels kennen, wahrscheinlicher ist aber, dass er ihm nach der Lektüre eines Werkes schrieb. Dieser Brief muss so «eingehend» und «abgründig» gewesen, so aufs «Psychologische des Buches» eingegangen sein, dass Hesse eine Ausnahme machte, antwortete und damit mit jemand Neuem Kontakt aufnahm. Persönlich lernten sich Hesse und Herzog wahrscheinlich Ende der 30er Jahre kennen, als Herzog längere Zeit im Tessin wohnte. Hesses Werke mussten einen grossen Einfluss auf Herzog ausgeübt haben. Im frühesten erhaltenen Brief schreibt Herzog: «Ihnen, sehr verehrter Herr Hesse, danke ich noch ganz besonders für das Geschenk Ihrer Werke, das in meine Verlassenheit hineinblühte und die dunkeln Stunden erleichterte, das mir führend helle Wege zeigte.» Ein paar Wochen später: «Als ich damals von Ihnen wegging, schien mein Weg weiter geworden und meine Hoffnung blühte wieder auf. Ich danke Ihnen für jene Stunden in Montagnola, die für mich wie eine Aufklärung meines Daseins waren, weil ich am Beispiel Ihres grossen Lebens sehen durfte, dass ein Schöpfertum kein Ende hat, dass es fordert bis in die letzte Stunde.» Den hohen Idealen des Dichterberufes standen allerdings die Schwierigkeiten des Handwerks gegenüber: «Oft hätte ich Lust mit meinem ganzen Weh und Ach zu Ihnen zu kommen, besonders dann, wenn ich mit meiner Arbeit um keinen Schritt weiter komme, wie das in den letzten Monaten der Fall war. Ich sitze und brüte, baue auf, reisse wieder nieder. Langsam füllt sich der Papierkorb mit zerknüllten Blättern.» Und anlässlich des 70. Geburtstages von Hermann Hesse bekennt Herzog in den «Basler Nachrichten»: «Damals, vor Jahren, als ich mit strengen Hausordnungen, peinlichen Zerwürfnissen aller Art zu kämpfen hatte, als ich schon jegliche Hoffnung auf ein selbständiges Gestalten meines kleinen Alltags der Verzweiflung hingab, erschien Demian bei mir und belehrte mich, dass ein Diebstahl oder ein vor aller Welt geheimgehaltener Vogel nichts zu sagen hätten, wenn ich bereit sei, die etwaigen Verfehlungen gutzumachen. Demian redete mir ins Gewissen. Aber er tat es als ein mir Gleichgestellter. Denn auch er hatte Verfehlungen begangen. Er wurde ein Tröster und dann ein Führender zum Guten.» Hesse seinerseits hat es anfänglich abgelehnt, einen Roman Herzogs im Manuskript zu lesen, dann aber den ersten Roman, «An den Ufern versunkener Ströme», doch gelesen und dem jungen Dichter Anregungen und Hinweise gegeben. Beide von Herzog veröffentlichten Romane las Hesse dann auch in der gedruckten Ausgabe, und Herzog hatte an ihm «einen teilnehmenden und verständnisvollen Leser». Später stellte Hesse auch den Kontakt mit dem Fischer Verlag und mit Peter Suhrkamp her (vgl. unten). Peter Mieg erzählte über diese Freundschaft: «Max war ein Nachtmensch, der erst gegen Abend erwachte. In diesem hat er sich mit Hesse kolossal verstanden. Hesse war auch ein ausgesprochener Nachtmensch. Aber die beiden waren auf ihre Art kolossal streitsüchtig und debattiersüchtig, und wenn sie zusammen waren, sind offenbar die Funken gestoben, weil sie sich einfach gegenseitig angeschrien und angebrüllt und miteinander debattiert haben. Aber es ging dann immer in Minne aus. Frau Hesse war überhaupt nie dabei, sondern war nur bei der Begrüssung und Verabschiedung anwesend. Das habe ich aber alles nie selber miterlebt, und ich weiss es nur aus den Erzählungen von Max. Aber ich kann es mir lebhaft vorstellen, und ich weiss auch, dass zwischen Moilliet und Hesse genauso Funken gestoben sind, wie zwischen Hesse und Max. Aber ich glaube, dass mit Hesse und Max die noch streitsüchtigeren und debattiersüchtigeren Menschen zusammen waren als mit Louis. Das Interesse beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Wenn Hesse nicht gewollt hätte und wenn er sich nicht ausgesprochen angesprochen gefühlt hätte durch Max und durch sein Künstlertum und durch seine Geistigkeit, hätte er ganz sicher diesen Kontakt nicht aufrecht erhalten. Denn Hesse war ja überschwemmt mit Besuchen und Leuten, die ihn aufgesucht haben. Aber dieser Kontakt mit Max war Hesse offenbar sehr wichtig und das spürte man aus diesen Briefen [von Hesse an Herzog] heraus. Auch das war so typisch für Max und seine unorthodoxe Art mit wichtigen Briefen umzugehen, er hat alles ‹verschobbet› und ‹vernuschet›. Er hatte eine furchtbare Unordnung und hat nie etwas gefunden und verzweifelte jeweils, dass er sein Zeugs nicht mehr fand. Ich habe ihm einmal ein Mäppchen für die Briefe von Hermann Hesse gemacht. Eine Zeit lang existierte das, und plötzlich an einem Tag war das nicht mehr da. Und diese Briefe und Karten von Hermann Hesse habe ich dann auf dem Boden eines alten Koffers in Landes le Gaulois gefunden, als wir [nach dem Tod] seine Sachen zusammensuchen mussten. Das war auf einem Estrich, und ein Teil dieser Briefe war halt von Mäusen angefressen. Da kann man gar nichts machen, aber es ist sehr typisch für Max. Er trug diesen Sachen einfach keine Sorge und war alles andere als ein konsequenter Sammler.» Die 40 Briefe und Karten von Hermann Hesse befinden sich heute im Archiv der Peter Mieg-Stiftung. Kurz vor der grossen Bilderausstellung 1961 im Kunstsalon Wolfsberg in Zürich hatte Herzog aus seinem Inneren heraus das Bedürfnis, ein Porträt von Hermann Hesse zu malen. «Eben kommt mir noch eine verfängliche Lust auf, ein Portrait von Ihnen zu malen, ein Wunsch, der geheim schon lange geschwelt hat. Ihr inneres wie äusseres Bild liegt so klar und fast vollständig in mir, dass es mir fast wie schon eingegeben und wie zum Tageslicht zu drängen scheint. [...] Mit Sitzungen würde ich Sie also nicht belästigen, sondern bloss aus dem Stegreif der vielen snap-shots, die ich in mir entwickelt habe, und das im Laufe der vielen Jahre, heraus mich wagen und es zumindest versuchen. Nur sollte ich noch einige Photographien besitzen, sozusagen als Vergleichsmöglichkeit von der tatsächlich schaubaren Realität zu jener, die lebendig in meiner Seele schwebt, als Anhaltspunkt oder gar als vielleicht redoutables Hilfsmittel. Sollte Sie aber dieses Ansinnen, Sie zu malen, stören, weil der Verdacht aufkommen könnte, Ihr Bild als hintergedanklichen Blickfang oder als unbescheidene Herausstellung meiner Freundschaft und Verehrung für Sie in einer Ausstellung zu verwenden, so möchte ich Sie doch bitten, es für mich persönlich zu erlauben. Es läge eine faszinierende Aufgabe vor mir, so oder so.» Hesse willigte ohne Vorbehalte ein: «Ihrer Absicht, mein Portrait zu malen, will ich keine Schwierigkeiten machen, Sie haben völlig freie Hand, auch für das Ausstellen», und Herzog malte das Bild in zwei Nachtsitzungen. «Ich selbst würde dem Bild nichts beigeben noch wegnehmen, denn so sehe ich Sie immerzu in mir, in stiller Durchsichtigkeit und Weltabgeschiedenheit, in der weltumfassenden Wirkung Ihres Geistes.» Das Bild machte grossen Eindruck, Hesse selber sprach von einer «echten Vision», und der Tages-Anzeiger begann seine Ausstellungskritik mit den Worten: «Man begibt sich in den Kunstsalon Wolfsberg, um den Plastiker Otto Charles Bänninger wiederzusehen – und entdeckt den Maler Franz Max Herzog», und schrieb über das Porträt von Hesse: «Selten, sehr selten sind hingegen die Künstler, denen man noch Bildnisse zutrauen kann wie die von Herzog ausgestellten Porträts von Hermann Hesse und Annette Kolb. Das Hesse-Bildnis ist nur einige Wochen alt. Es übertrifft an Unbefangenheit und Freiheit der Schau bei weitem die bekannten Hesse-Porträts von Morgenthaler. Herzog malt nicht den weltberühmten Dichter, er malt den alten Menschen und dies dazu mit einer beinahe erschreckenden Hervorhebung der greisenhaften Züge. Sein Hesse lebt kaum noch in der Wirklichkeit. Er taucht wie eine spukhafte Erscheinung auf der Bildfläche auf. Zwar spürt man das Format der Persönlichkeit, obwohl jede repräsentative Pose vermieden und der Dargestellte in fast verletzender Intimität und Nahsicht erfasst ist. Hesse zeigt sich dem Beschauer, wie ihn wohl nur seine allernächste Umgebung zu sehen bekommt: sie bildet denn auch den Rahmen des Bildnisses.» Ungeachtet seiner Geldnöte überliess Herzog das Bild «einer wirklichen Freundin des Werkes und der Person Hermann Hesses» für 3500 Franken, obwohl ihm «Snobs» dafür 6000.- angeboten hatten. Das Bild wurde 1972 von der Landesbibliothek in Bern angekauft, nachdem es zuvor Peter Mieg angeboten worden war – allerdings ist das 85x64 cm grosse Werk zur Zeit nicht auffindbar. 

Beat Hanselmann

 
FMHMoritz Reich