Philippe Ponsonnet (1932-1957)

Philippe Ponsonnet war der Mensch, der Franz Max Herzog in den 50er Jahren am nächsten gestanden hat. Philippe stammte aus einer sehr begüterten und erzhugenottisch-protestantischen Fabrikantenfamilie aus Südfrankreich. Er wurde am 15. November 1932 geboren und lernte Herzog wohl Ende 1951 in Paris kennen. Herzog konnte in seiner Fabulierlust verschiedene Varianten erzählen, wie er Philippe kennenlernte. Nach der von Peter Mieg überlieferten Version ging Herzog eines Tages im Saint-Germain spazieren, als er auf der anderen Strassenseite einen jungen Mann erblickte. Er hatte plötzlich die sichere Eingebung, dass dieser Fremde auf dem Weg zur Seine sei und sich dort ertränken wolle. Herzog überquerte die Strasse und sprach den Unbekannten an, fragte ihn, ob es stimme, dass er zur Seine gehen und sich ertränken wolle. Dieser erschrak und musste zugeben, dass er tatsächlich diese Absichten gehabt habe. Es war nicht sein erster Selbstmordversuch.

 

Philippe lebte in Paris in einem protestantischen Internat und wollte die Ecole des Arts et Décors besuchen. Er war gross, blond, künstlerisch sehr begabt, wollte zum Theater und entwarf Stoffmuster. Die erste Erwähnung in einem Brief an Peter Mieg datiert vom 18. April 1952: «Der Philippe ist kein Negertänzer – er ist ein träumerischer, jedoch geformter Romantiker von 19 Jahren. Sonntags kommt er wieder. Er ist reizend und lieb und Gott seis geklagt – er erinnert mich stark an den 19-jährigen Max. Das nebenbei.» Die Freundschaft zwischen Max und Philippe wuchs nur langsam, lange Zeit wehrte sich Herzog auch gegen eine zu enge Beziehung. Noch im Oktober 1952 schrieb er: «Mir ist es bang um ihn und auch um mich, und ich arbeite daran, dass mein Herz kein Spielraum für närrische, tausendmal erfahrene Gefühle wird. Das könnte ich jetzt nicht brauchen – jetzt unter keinen Umständen, denn diese [Alkoholentziehungs-] Kur und der von Leib und Seele besessene Trieb umzukehren, zu bauen und Fuss zu fassen in jener Welt, die schon lange nicht mehr die meine war, ertragen keine Intermezzis. Lieber will ich alles lassen und au-delà gehen oder tatsächlich mit einer Rente ins Narrenhaus oder ins Klösterchen.»

 

Schliesslich siegte die Liebe. «Philippe war übers Weekend hier, und es war wie immer zaubervoll. Wir gingen zusammen auf die Eiersuche, und seine Silhouette, schmal und in Stiefeln mit einem langen Mäntelchen, einen Korb am Arm, war die eines hilfesuchenden Mädchens. Er hatte seinen Neurasthenischen und weinte an meiner Schulter, aus Angst vor der Zukunft und vor Abscheu an Mode und Theaterleben. Und als er gar zu glänzige Augen hatte, steckte ich ihm das Thermometer – wohin? Entweder hatte das Fieber Grippe oder dann Seelenkummer zum Herd. Wie gerne würde ich ihn für immer bei mir haben. Er stört nie und lebt mir mein Leben von damals vor. Das bricht alle Widerstände, die ich sonst hätte.» Wann immer Philippe nicht in Paris oder bei seinen Eltern sein musste, verbrachte er seine Zeit mit Max in Landes le Gaulois oder im Midi. Eine Männerfreundschaft, dazu eine mit 20 Jahren Altersunterschied und dann noch in Frankreich in der Provinz, war in den 50er Jahren nahezu undenkbar. So traten die beiden als Vater und Sohn auf: «Philippe ist doch, ein Mythoman der ich bin, mein Sohn in den Augen der Umwelt...», «Seine Eltern scheinen meine Vaterschaft stillschweigend angenommen zu haben, diese Protestanten.» Philippe hatte einen äusserst labilen und beeinflussbaren Charakter, und Franz Max Herzog teilte Peter Mieg seine Beobachtungen und Sorgen immer wieder mit. «Die dreimonatige Trennung liess ihn mir noch labiler und verworrener erscheinen. Auch er steht einem neuen Lebensabschnitt gegenüber – ich versuchte ihn noch in die Ecole des Arts et Décors einzuführen, sortierte sein äusserst begabtes Zeichenmaterial der Ferien, worin viele Ecken meiner Wohnung an der Varenne geisterten, der Max immer wieder, Amy [Herzogs Pudel]: ich war tief betroffen und tief gerührt. Er ist mager und hat einen unruhigen Blick – nein dieses gefährdete, unendlich schöne Gewese, dieser Hauch und diese schwere Zukunft. Was soll aus ihm werden? Und wie schwer fällt es mir, ihn am Rande äusserster Gefährdung im lodernden Paris zu wissen. Was kann ihn nicht alles zu Fall bringen, und wie reif ist er trotzdem in allen Dingen und erwachsen. Er ist ein Maler und ein der Kunst hingegebener Mensch – dem Mensch und vielleicht auch ein wenig dem Abenteuer und Jesuitischen. Der Teufel herrscht bisweilen in seinem Trotz, und sein Hang zur Lebensqual und zum Quälen sind wesentliche Charakterzüge, wobei eine Selbsterkenntnis zu Tage tritt, die ihn weinen und lachen lassen.» «Er ist ja ein in sich grundtreuer Mensch, hingegeben und passioniert jedoch, aber immerhin sehr anlehnungsbedürftig an jenes Gefühl, was er ein ganzes Leben entbehren musste, das für die Eltern. Und so fiel mir im Laufe oft schwieriger Zeiten und Skrupeln (denn ich bin ja ein vertrackter Moralist und hätte einen guten Pastor gegeben) die Vater und Mutterstelle zu, die ich, wäre ich kein Moralist und kein PD, ohne Passion ausführen könnte und ohne Konfusion. So aber ist es oft schwierig, und es kommt vor, dass auf Ohrfeigen, die die Vaterhand austeilt, honigsüsses Flötenspiel betrieben wird, [mit Tönen,] die aus dem Erzweibe meiner Seele hervorklingen. Jean Cocteau hat dies nach aussen hin legalisiert, indem er kurzerhand adoptierte.»

 

Die Monate in Landes le Gaulois zusammen mit Philippe müssen für Franz Max Herzog – mindestens von der menschlichen Seite her – leicht und sonnig gewesen sein. «Meine ruhige und doch passionierte Liebe für Philippe, dieses konstante Gleichgefühl eines mir selten bekannten Glücks, (ich muss bis zu Sidoux zurückdenken, vor sechzehn Jahren) hat eine solche Wendung in diesen Belangen in mein eingeborenes, tierisch unstetes Wesen gebracht, sodass ich mich zuerst an diesen Wandel gewöhnen muss, mich im voraus vor der Unmöglichkeit des Dauerns fürchtend.»

 

Den Aufenthalt in der Chaumière hat er Peter Mieg ausführlicher beschrieben: «Diese Varenne [Herzogs Pariser Adresse] ist meinem Gedächtnis und meinem Gefühl fast ganz entfallen, und ich bin hier in der mir ureigen angepassten Atmosphäre wohl und ausgeglichen. Ja, die so und so vielen Seelen in einer Brust und die kuriosen Wandlungen und das Nicht-Wissen um sich selbst. Es ist ungeheuer. Mir scheint es selbst äusserst rätselhaft, wie ich hier wieder verwachsen bin, in einer douce follie verfangen, mit Ofenspuk und Aschenstaub, kalten Füssen und einer heissen brique darunter, den kuriosesten déjeuners und dîners, wo ich meine Kochwut nur so tollen lassen kann, dem Vierkäsehochdiener und der kuhdummen gotischen und (eben deshalb gotisch) schwangeren Magd, der schlürfenden und schmatzenden Chatlaine, die immer auf irgend eine cochonnerie erpicht ist und die ich Duchesse de Culterrex nenne, mich mit dem Namen Marquis de Recul ziere, und als solches Paar manchmal verträumte Châteaus überfallen, um bisweilen wider Erwarten eingelassen zu werden. Für sie ist der Abtritt Louis quatorze, während ich der Madame Dido treu geblieben bin, und wir finden uns in den so sympathisierenden Gesprächen. Philippe lacht sich bisweilen krumm oder ist wie ein Mädchen geniert. Er ist das Porzellanfigürchen, und wenn die weekends im Zauber verlaufen, so ist das seine Anwesenheit. Auch er lässt Dich herzlich grüssen, und mir scheint immer, er tue es wirklich von Herzen; er ähnelt Dir in vielem so sehr und gleichzeitig meine ich, mich selbst in ihm zu finden, gleichsam als sei er mein Sohn, oder, wie man beim Wein so schön sagt, mein eigenes Gewächs.»

 

1956 musste die Idee einer gemeinsamen Boutique Gestalt angenommen haben. Nachdem Philippe im Januar 1957 vom Militärdienst befreit wurde, arbeiteten Max und Philippe rastlos an deren Verwirklichung. Philippe war Anfang Jahr noch auf Einkaufstour in Paris und Vesoul. Nachdem ein geeignetes Lokal gefunden war, arbeiteten sie bis zum Umfallen: «Auch sitzen Philippe und ich oft stundenlang wortlos nebeneinander und zwar mit einem Schlafmanko ohnegleichen, ohne dass uns ein Wort über die Lippen kollert. Das obligate: que penses-tu unterbricht bisweilen die steinerne Stille.»

 

Drei Wochen erst war die Boutique geöffnet, als Philippe am 27. April nach einer Auseinandersetzung mit Max fortging. Wochenlang blieb er verschwunden. Zeitungsaufrufe und Suchmeldungen im Radio blieben erfolglos. Sieben Wochen später fand man ihn. «Das Entsetzliche, das immer schon, seit Jahren befürchtete, ist eingetroffen: der liebste, arme Philippe ist in einem Wald oberhalb Agay (St. Raphael) tot gefunden worden. Nun ist die Ungewissheit zerrissen – für mich hingegen lebte kaum Hoffnung während der scheusslichen Folterwochen. Und nun ertrinke ich fast im unsäglichen Kummer um diesen geliebtesten Philippe, für den ich glaubte, das gute Reine, für ihn wenigstens, erkämpft zu haben. Ich lebte für ihn und durch ihn alle die Jahre des hohen Glückes unserer Einheit. Es wird schwer bezahlt, nun, wo Haus und Herz im Unglück zittern. Der arme, arme Philippe. Er ist dem Jahrhundert und seiner grazilen, sensiblen Natur erlegen, im Wahnsinn und in der Verzweiflung und in einem Augenblick, wo alles äussere Leben gewonnen schien. Ich sträube mich über das Schicksal zu reden, aber hier hat es gehandelt und sich all die Jahre vollgefressen, im geheimen und hinter dem Rücken, bis es die Kraft zur Aktion erlangte, zur unbegreiflichen Stunde.» Herzog hatte immer Angst gehabt, dass Philippe eines Tages einen neuen Selbstmordversuch machen würde. «Er legt mir alles zurecht und dann schaut er mit seiner weissen Wimper auf und fragt stillschweigend: ‹C'est bien cela, que tu voulais?› Es könnte eine Zeit kommen, wo auch das von jener faszinierenden Wimper geschützte Auge aus meinem Leben davonginge, wie Vater, Mutter, Bruder und so manches andere.» Herzog litt unsäglich unter diesem Tod, zumal er nicht einmal wusste, «unter welchen Umständen er gestorben ist: jedenfalls fehlte einfach alles auf ihm, was einigen Wert besass: Uhr, Geld, sein Geldbeutelchen und die ihn stets begleitende Füllfeder».

 

Peter Mieg hat über Philippe und das Verhältnis zu Max folgendes erzählt: «Philippe war für Max der Mensch, der ihm in den letzten Jahren einfach am nächsten gestanden ist. Man konnte sagen, es sei etwas wie eine Vater-Sohn-Beziehung gewesen, eine Beziehung eines Menschen zu einem Kind, zu einem viel jüngeren Kind. Philippe war auf der einen Seite ein kolossal reifer Mensch, auf der anderen Seite hatte er seine kindlichen Züge. Er stand auch unter dem Einfluss von Max im Künstlerischen. Das kann man in den Bildern und Zeichnungen von Philippe verfolgen, in die Max stellenweise hinein korrigiert und hinein gemalt hat. Er hatte etwas kolossal Liebenswürdiges und Heiteres, aber es war keine oberflächliche Heiterkeit, man merkte, es ist irgendwie eine tragische Figur. Damals schon. Dieser Suizidversuch, an dem ihn Max hinderte, war absolut nicht der erste. Am Ende seines Lebens machte er wirklich wieder einen Suizid, wo er dann nachher wirklich nicht mehr existierte. Das hat sich ja über Wochen hingezogen, dass Max ihn gesucht hat und absolut nicht wusste, wo Philippe steckt und wo er hingegangen ist. Eines Tages ging er fort, nach einer Auseinandersetzung mit Max. Und das muss man sagen, Max hat ihn natürlich immer sehr korrigiert und hatte einen kolossalen Einfluss auf ihn. Das ist auch das, was Wilma Hammelbacher sagt, er habe ein schlechtes Gewissen gehabt. Max hatte einen fatalen und verhängnisvollen Einfluss auf diesen jungen Menschen. Es war zeitweise ganz ausgezeichnet, und dann kamen wieder diese Zeiten, in denen Max voll von Kritiksucht war und an diesem Philippe immer nur korrigierte und sagte dies und dies ist falsch, du wirst nie etwas können. Und vor allem, als sie dann in Ste. Maxime diese Boutique hatten, dort muss es einmal dazu gekommen sein, dass Max zu ihm sagte: du wirst nie fähig sein, ein Geschäft zu führen.»

 Beat Hanselmann

 
FMHMoritz Reich