Erinnerungen an Franz Max Herzog

von Emil Hochuli

In den Kreisen von Max genoss ich den Ruf eines «ange gardien». Bei seinen Alkoholkrisen, die nicht selten waren, wurde ich stets gerufen, da ich der einzige seiner Freunde war, der ihm dann noch beizustehen vermochte. So wurde ich z.B. eines Tages nach Ste. Maxime gerufen, um Unmögliches wieder in Gang zu bringen. Max hatte in diesem kleinen Ort in der Provence eine Boutique gemietet, wo er auf Tablaren, in Vitrinen und sogar auf dem Boden bunte Raritäten anbot. An den Wänden hingen seine Bilder, die bei den Besuchern Interesse erweckten. Berühmtheiten und Adliges, wie Prinz Bertil von Schweden, kamen aus dem nahen St. Tropez. Sie alle liebten die anregenden Unterhaltungen und Bewirtungen, die Max für besondere Gäste meisterhaft zu inszenieren verstand. Fürstlichem war Max sehr zugetan, galt seine Mutter doch angeblich als eine Hochwohlgeborene aus Mecklenburg-Strelitz (als sie dann Jahre später in einer amtlichen Veröffentlichung lediglich als eine Frau Müller erschien, fielen einige aus dem Freundeskreis aus allen Wolken). Sein Hilferuf erreichte mich in Oslo, wo ich beruflich tätig war. Es stand eine Ausstellung von seinen Bildern bei Wolfsberg in Zürich bevor. Ich flog nach Nizza, fuhr weiter nach Ste. Maxime und fand Max betrunken und völlig unfähig, sich mit dem Ausstellungsauftrag zu befassen. Nichts war vorbereitet. Überall waren gerahmte und ungerahmte Bilder aufgestapelt, in Wohnung und Laden herrschte ein Chaos. Nach einer stürmischen Begrüssung: «Bisch do, du Mohre!», folgte bald die Ernüchterung und dann eine ziemlich ruhige Nacht. Am nächsten Morgen eilends die nötigen Vorbereitungen für den Transport der versprochenen Bilder und persönlichen Sachen nach Zürich. Mit dem Auto von Max, einem silbergrauen Dodge-Cabriolet, Modell 1936, das im Gepäckabteil eine Lederbank hatte, die man über die Hinterräder erklettern musste, fuhren wir über die Route des Alpes zur Galerie nach Zürich, wo man uns ungeduldig erwartete.

 

Paris und La Douce France waren genussreiche Etappen während vielen Jahren unserer guten Freundschaft. In Landes le Gaulois, in der Nähe von Blois, übernahm Max mietweise die Chaumière eines Landsitzes. Am Ende einer langen Pappelallee residierte im Château die Wirtin. Sie zog es vor, nicht in den dunklen, muffigen Herrschaftsräumen zu wohnen, sondern in den angenehmeren Nebenräumen der Küche. Max war im Kochen bewandert und stiess auf gutes Einvernehmen mit der Châtelaine. Sie chauffierte ihren Citroën Deux Chevaux über alle Unebenheiten der Allee, wenn sie die Chaumière aufzusuchen geruhte. Diese war nur im Erdgeschoss bewohnbar, ein einziger grosser Raum mit Nischen für Nachtlager und Waschgelegenheiten, dürftig möbliert, teilweise ergänzt mit Fundstücken aus Occasionsbuden in der Nachbarschaft. Zahlreiche Gäste aus dem Freundeskreis kamen hier zu Besuch. Mit der Basler Malerin Marguerite Ammann genossen wir einen amüsanten Aufenthalt. Abends wurden von Bett zu Bett humorvolle und witzige Gespräche geführt, die man beim Erwachen fortsetzte. Um sieben Uhr erschien dann der Facteur, brachte Zeitungen und Post an die Betten, übermittelte Nachrichten, öffnete die Fensterläden und erwähnte Zeit und Wetter, bevor er sich wieder verabschiedete. Fern von Paris, in ländlicher Geborgenheit – glücklicher konnten wir die Tage in der Chaumière nicht geniessen!

 

Oft organisierten wir von Paris aus Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung, sofern es der reparaturträchtige Dodge zuliess. Aber spendierfreudig, wie Max war, unterhielt er gute Kontakte zu den schmuddeligen Garagen in den Hinterhöfen des VIème. Er wusste, wie man sich sympathisches Werkstattpersonal warm hält, und so hatten wir selten Probleme mit Garagendiensten.

 

Eines Tages chauffierten wir nach Chartres, wo wir Marlies Schüpbach, eine Malerin aus Burgdorf, treffen sollten. Wir fanden sie gegenüber der Kathedrale beim Apéro auf einer Hotelterrasse. Die Begegnung wurde mit Essen und masslosem Trinken gefeiert, bis Max und die Emmentalerin kaum noch aufrecht gehen konnten. Max rechnete bei unseren gemeinsamen Ausflügen immer damit, dass ich Mässigkeit übe und ihn jeweils wieder nach Hause chauffieren würde. Er insistierte auch diesmal auf einer Rückkehr nach Paris. Marlies wurde in Chartres zurückgelassen und für eine Nacht im Hotel einquartiert. Ohne sich beim Fahren einzumischen, überliess mir Max das Steuerrad. Wir wollten Paris gegen Mitternacht erreichen und in den gängigen Bars von St. Germain des Prés noch illustres Volk treffen. Nach langer Fahrt kamen endlich die Vororte von Paris, und dann sahen wir auch schon die Lichter der Place de la Concorde vor uns. Doch mon dieu, quelle erreur, ich hätte doch vorher ins VIème zu den Bars abzweigen sollen! Es folgte von Max eine Schimpftirade nach Noten. Ich liess sie geschehen, stoppte den Wagen, öffnete meine Wagentür und lief davon. Max folgte und bat schreiend und weinend um Nachsicht. Mitten im nächtlichen Verkehr der hell erleuchteten Concorde zelebrierten wir dann, nicht zum ersten Mal, Verbrüderung. Max übernahm den Dodge, um mit heruntergeklappter Windschutzscheibe nach lokaler Usanz effektvoll am Boulevard St. Germain aufzukreuzen.

 

Nachzutragen bleibt noch, dass Max und seine Mutter, die wir Missis nannten, in den 30er Jahren an der Gundeldingerstrasse in Basel mit dienstlichen Hilfen ein gepflegtes, nobles Haus führten. Mich nannte man dort kurzerhand den Hochuli de Melchnau. Ich war oft zu Gast und erlebte manche Gute-Nacht-Begrüssung. Denn Missis konnte nicht einschlafen, bevor Max heimgekehrt war, und lag wach und wartend im Bett. Zu jeder Nachtzeit waren Visiten dieser Art die Regel, denn Max hatte eine Vorliebe, im Volkshaus in Kleinbasel nachzusehen, ob man am Schluss eines Vereinsanlasses von Polizisten, Turnern, Schrebergärtnern etc. am Trinkgelage teilnehmen konnte. Aber ob nach Volkshaus oder einem anderen Wirtshausbesuch – bevor man zu Missis zum nächtlichen Besuch gebeten wurde, hatte man gemeinsam in der Küche in den altmodischen Schüttstein zu pinkeln.

 

[Emil Hochuli *1911. Konsularischer und diplomatischer Mitarbeiter auf verschiedenen Schweizer Botschaften im Ausland. Ab Mitte der 30er Jahre mit Franz Max Herzog befreundet.]

 

 
FMHMoritz Reich