Wie ich den Herzog von Basel kennenlernte

von Dieter Sommer

Zwischen Toulon und St. Tropez in der Mittagshitze zu stehen, um auf eine Mitfahrgelegenheit «per Anhalter» zu warten, war an jenem Sommertag im Jahre 1960 kein Vergnügen. Dabei sollte ich nicht unzufrieden sein. Hatte mich doch kurz vorher ein netter LKW-Fahrer aus Spanien rund 300 Kilometer mitgenommen – wenn auch auf der Ladefläche zwischen Aprikosenkisten. Schliesslich war ich bereits vier Wochen kreuz und quer durch Spanien und Portugal getrampt, und die angenehmen und unangenehmen Seiten dieser Art zu reisen waren mir vertraut. Der Fahrer des Wagens, der gerade abbremste, hatte auf mein Winken reagiert. Es war ein aussergewöhnliches Auto. Offen und viel grösser als andere Autos. Darin ein freundlicher Herr mittleren Alters. Sofort spricht er mich in deutscher Sprache an, um sich nach meinem Reiseziel zu erkundigen. Mein Gesichtsausdruck muss ihm verraten haben, dass ich nicht nur überrascht war, sondern sprachlos. «Steigen Sie erst mal ein! Ich fahre nach Nizza. Allerdings muss ich bald halten, um zu schwimmen und ein Picknick zu machen. Haben Sie Lust, mitzufahren?» Und ob ich Lust hatte. Bis Nizza in solch einem Fahrzeug! Schnell war mein Gepäck verstaut. Der Fahrtwind, die vorbei fliegende Landschaft der Côte d'Azur und ein Fahrer, der meine Muttersprache spricht. Es schien mein Tramperglückstag zu sein! «Wie heissen Sie?» Ich nannte meinen Namen, und als hätte er darauf gewartet, dass ich nach seinem Namen frage, sagte er: «Ich bin der Herzog von Basel» und deutete auf ein kleines Metallschild am Armaturenbrett. Ich las: F. M. Herzog, Bâle. Da sass ich, Dieter Sommer, neben dem Herzog von Basel und wurde von diesem chauffiert. Der kleine Strand, an dem wir Halt machten, war menschenleer. «Helfen Sie mir, die Sachen fürs Picknick aus dem Auto zu holen. Und, ziehen Sie sich endlich aus, denn wir wollen schwimmen. Das Wasser ist herrlich!» Während ich noch den Korb mit den Picknick-Zutaten auf der mitgebrachten Decke plazierte, schwamm der Herzog schon im Meer. «Kommen Sie! Es ist sehr erfrischend!» In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass ich zwar auf eine Tagesreise nach Nizza oder auch bis nach Italien vorbereitet war, jedoch nicht auf ein Bad im Meer. Eigentlich wollte ich auch nicht ins Wasser. «Wird es bald?» Lachend tauchte der fremde Mann im Wasser unter. Dann zusätzlich meine Umkleideprozedur, die in ihrer Komik einem Monsieur Hulot alle Ehre gemacht hätte. Verborgen hinter dem schönen Auto, mit dem nackten Hintern zur Strasse, Hose runter, Hose rauf, wenn Autos vorbeikamen, und am Ende gar im Wasser. Während ich noch schwamm, entstieg der Herzog dem Meer. Er war gross und schlank. Ganz sonnengebräunt und mit einem Hauch von einer Badehose bekleidet. Ein derartiges Kleidungsstück war mir fremd! Trug ich doch selbst, wie damals üblich, eine wollene Badehose. Mir wurde bewusst, zwischen diesem Herzog und meiner nachpubertären Welt gab es gravierende Unterschiede. Ich wünschte damals, ich wäre nicht ins Wasser gesprungen. Dann hätte ich jetzt nicht vor fremden Blicken meinen Körper und meine gestrickte Badehose zu zeigen brauchen. «Kommen Sie raus aus dem Wasser. Wir wollen essen! Sie haben doch Appetit, nicht wahr? Leider habe ich kein Picknick für zwei Personen mitgenommen. Aber es wird reichen. Hier ist mein Handtuch. Trocknen Sie sich ab!» Der Herzog und ich assen gemeinsam. Zwischendurch fragte er nach meinen Reiseerlebnissen. Ich erinnere mich, dass mir die Art, wie er auf meine Reiseschilderungen reagierte nicht gefiel. Hörte ich Spott? Oder lediglich ironische Kommentare? Und dann der Befehlston: Tun Sie dies, kommen Sie, machen Sie! Aber schliesslich war er ein Herzog und zudem noch sehr nett und freundlich. Und hatte er nicht seine Mahlzeit mit mir geteilt? Ich musste dankbar sein! Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich über diesen Mann nur, dass er der Herzog von Basel ist und demnach auch aus Basel stammen musste. Meine Neugierde wurde schon bald befriedigt. Auf der langen Fahrt nach Nizza erzählte mir der Herzog aus seinem Leben. Die plastischen Bilder, die er mit seinen Worten malte, sollte ich nie mehr vergessen! Aus der Erinnerung weiss ich, wie beeindruckt ich damals war. All das Heitere im Wesen dieses Mannes schien erstickt in Trauer und Schmerz um den Verlust seines Freundes Philippe, der in den Bergen der Provence ums Leben gekommen war. Aus dem ironisch‑heiteren Herzog wurde im Laufe der Fahrt ein trauriger und nachdenklicher Mann. Wie eine Last nahm ich die stundenlangen Beschreibungen von Menschenschicksalen, Freuden und Leiden zusammen mit meinem Reisegepäck auf. Die Last schien mich zu erdrücken. Wer war ich, dem dieser Mensch sich so sehr anvertraute? An der Promenade in Nizza stieg ich aus. Ein mit Langeisen beladener LKW nahm mich kurze Zeit später mit nach Turin. In eine andere Welt! [Dieter H. Sommer *1940 in Dresden. Lehr- und Wanderjahre bei der Seefahrt. Auslandaufenthalte in Spanien, den USA und Australien. Verheiratet, zwei Kinder und seit nunmehr 30 Jahren in der Aus- und Weiterbildung in der Wirtschaft tätig. Mehrere Besuche bei Franz Max Herzog in der «Lützelmatt» in Luzern. Befreundet mit Peter Mieg, der die Nachricht vom plötzlichen Tode Herzogs übermittelte.]

 
FMHMoritz Reich