Orientalische Ode

Mustafa Ibn Fez lag in der Ottomane und lächelte mühselig-grimmig: es war das Lächeln der Langeweile. Indem er mit grossartigem Schwung ein kostbares Tablett mit Kaffeetasse und Nargileh zu Boden fegte und seinem Turban einen Fusstritt gab, dass er im Bogen in eine entlegene Ecke fuhr, schuf er sich eine momentane Erleichterung.Doch die Grundmisere blieb: Von seinem Dienst als Kommandant des Leibgarde-Kürassier-Regiments am Hofe des Sultans beurlaubt, stand er seinen zivilen Ferien völlig hilflos gegenüber. Wohl übte er in seinem Schlafzimmer während genau drei Viertelstunden Taktschritt, dass die Wände bebten. Wohl suchten seine drei Damen ihn zu zerstreuen. Was half’s? Die schlechte Laune wuchs von Tag zu Tag, und mit gewissem Bangen sahen Zuleimah, Fatima und Veronika den Stunden entgegen, in denen sie zu ihrem Herrn befohlen wurden. Nicht einmal im Serail waren sie sicher vor seinen depressiven Stimmungen.Auch jetzt begab sich Mustafa zu Zuleimah, die unschuldig über ein seidenes Tuch gebeugt sass und es mit bunten Strichen und Knöpfen schmückte. Es sollte einmal ein Kissen geben. Wenig phantasiebegabt, stickte sie ein ABC. Sie war beim Buchstaben S, und das ist nicht weit, denn das türkische ABC fängt hinten an. Da trat er ein und erkundigte sich nach dem Fortschritt der Handarbeit. «Gute Nacht, Täubchen» schrie er sie an, » wenn du so fortfährst, wird die blödsinnige Schlummerrolle zu Neujahr noch unvollendet sein», und er war bereit, die Fliegenklatsche auf das Kunstwerk fahren zu lassen, hielt aber inne, als Zuleimah in höchstem Schreck ihren kindlichen Kirschenmund zum grollenden Gebieter hob und ihn mit einem Lächeln, das aus der Not geboren war, entwaffnete.Nicht minder übler Laune erschien er in Veronikas Gemach, aus dem ihm der liebliche Singsang von Fingerübungen auf dem Klavier entgegentönte. Veronika war eine verunglückte deutsche Klavierlehrerin und durch Vermittlung höchster Stelle, nämlich des Kaisers, als Haremsdame und Musikpädagogin an den Hof Abdul Hamids empfohlen worden, von wo sie wegen Nichtgebrauchs an den Leiter der Leibgarde weitergegeben wurde. Mustafa zeigte sich sonst von ihrem Spiel entzückt, und wenn Veronika, die sich bisweilen in der Komposition übte (das nachmals im Okzident berühmt gewordene Lied «Veronika, der Lenz ist da» stammt von ihr), angetan mit den Roben preussischen Jugendstils und im Haar eine Rose aus Marzipan, am Klavier sass und versonnen den Marsch von Sousa bot, gab ihr Herr grunzende Laute von sich, was im Orient ein Zeichen gnädigen Beifalls ist. Nun holte sie das Lieblingsheft mit den reizenden Stücken von Humperdinck, die bei jedem Wetter so mildtätig wirkten. Vergeblich jedoch spielte sie «Mit Speck fängt man Mäuse», «Die Angst vor der Klavierlehrerin», «Unverhoffter Besuch», «Langeweile», «Nach dem Streit»: Mustafa blieb ungerührt und hätte lieber ein Stück mit dem Titel «Streit» gehört, so widerlich war ihm zumute, und damit, dass er unversehens mit seinem Sitzfleisch die Klaviatur besetzte und siebenundvierzig Töne gleichzeitig Fortissimo anschlug, gab er zu erkennen, dass auch Musik heute unwillkommen sei.So suchte er zuletzt Fatima heim, die im westlichen Flügel des Serails wohnte, dessen Gitterfenster über den Bosporus nach Pera blickten. Fatima sass am Zählrahmen, hatte neben sich die Logarithmen aufgeschlagen und war in die Lösung eines arithmetischen Problems vertieft. Sie erschrak mit Aufschei, als ein Fliegenwedel plötzlich in ihre wohlgeordneten Kugeln fuhr und greuliche Verwirrung anrichtete. Mustafa, seelenlos, verzog den Mund zu einem Grinsen, klopfte zum Trotz ein paar Taktschritte und war im Begriff, kalt und verdrossen das Gemach zu verlassen, als Fatima zärtlich gequält ihm nachrief. «Ach, Chéri, lass uns eine Reise tun, wir wollen nach Monte Carlo gehn und hasardieren.»Er brummte dunkel, fuhr, sich kratzend, mit dem Stiel des Fliegeninstruments unter den Turban und herrschte die ungläubig glückstrahlende Haremsdame mit den Worten eines überraschenden Entschlusses an: «Koffer packen, Pflaumen, Hammelkeule, Joghurt nicht vergessen!» Und entfernte sich. Empört rauschte ein Vorhang auseinander.* * * Mustafa Ibn Fez mit seinen drei Gattinnen erregte in Monte Carlos Spielsälen weniger Aufsehen, als ihm lieb gewesen wäre: so sehr war man in jenen Jahren an internationales, auch morgenländisches Publikum gewöhnt. Veronika gebärdete sich im übrigen sehr europäisch und tat blasiert; nein, das Hasardspiel interessierte sie nicht, behauptete sie und gab sich ihren Klavierstudien und Kompositionen hin. Das Chanson «Komm mit ins Chambre séparée» soll damals entstanden sein. Um so entzückter zeigten sich die beiden Türkendamen, die mit Ah! und Oh! den Marmorsalat und das Goldgeriesel des Casinos bewunderten. «Ich habe kein Glück», gestand Mustafa seiner Erstgeliebten, als er einen kleinen Beutel Gold verspielt hatte, und Zuleimah, freundlich, aber geringen Geistes, konnte ebenfalls nur zagend ein leeres Ridikül vorweisen, als sich die beiden nach einem ersten Versuch im Vestibül trafen. Fatima indessen hatte längt den Roulettetisch verlassen und war mit Zählrahmen und Logarithmen in den Saal der höhern Einsätze geschwebt. Geübt in der Kunst orientalischer Arithmetik, stellte sie Wahrscheinlichkeitsrechnungen an, benützte Kugeln und Tabellen und geriet in ein aufgeregtes Glück. Mit Recht, denn sie setzte mit Erfolg, und während sie ihr Handtäschchen bereits mit Goldstücken gefüllt hatte, liess sie die weitern Gewinne im Ausschnitt ihrer Robe verschwinden.Nicht lange wird es gehen, und sie wird ihren Turban vom Haupte nehmen, in ihm die Ströme von Münzen versenken. Fatima rechnet und gewinnt, und kaum hat sie Zeit, das kalte Auge des Croupiers, die Verzweiflung des Herrn Direktors der vereinigten Spielsäle von Monte Carlo, die ungläubige Andacht und den Neid der Zuschauer auf sich zu spüren: sie spielt bis tief in die Nacht, und morgens um sechs hat sie die Bank gesprengt. Sie weckt ihren Herrn und die Nebengattinnen. «Packt bitte ein, wir nehmen den nächsten Orientexpress», sagt sie zu den Erstaunten, und sie stopft Mustafa die Hosensäcke voll, den beiden Damen den Turban, den sie sich prall und schwer aufs Haar setzen. «Wir haben die Ehre», rufen sie aus dem Coupé, während der Verwaltungsrat bleich dem fortrollenden Zuge nachblickt und die Palmen indigniert im Morgenwind rascheln. * * * Konstantinopel ahnte den Aufruhr noch nicht, den vier seiner Bewohner in Europa drüben angerichtet hatten. «Ich werde mir ein neues Pianino kaufen», rief jetzt Veronika, die zu Hause sich anschickte, den schweren Turban vom Haupt zu nehmen. Doch siehe da, nicht so leicht löste er sich vom semmelblonden Schopf: da klebte was. Und in der Tat: «Entsetzlich!» schrien die Damen durcheinander, «empörend!», denn ihr Haar hing voller Pflaumen, und was Mustafa aus dem Hosensack zog, waren klebrige, kandierte - wir ahnen es - Pflaumen. Kein Goldstück mehr, sondern Pflaumen, Pflaumen. Wer sollte sie essen?«Verteilt sie schnell, schickt damit zum Sultan, zu den Würdenträgern», hiess es, und ehe der Tag um war, waren 50 Kilo kandierte Pflaumen, das türkische Nationalgericht, allerorten verschenkt und das teuflische Zauberzeug unauffällig untergebracht.«Ist dir nicht wohl?» fragte die gütige Zuleimah ihren Herrn, «dein Gesicht ist pflaumenblau.» Kaum hatten indessen sie wie ihre Gespielinnen eine Pflaume gegessen, als auch sie purpurn anliefen, und jeder Einwohner der Stadt, ja Abdul Hamid sogar wurde pflaumenfarben von Angesicht, und weder Seife noch Schminke enthob sie des violetten Lacks. Fatima, Urheberin des Unheils, musste eilends mit allen Professoren und Geheimräten des Abendlandes telephonieren und sie um Rat bitten. Doch keiner, nicht einmal Kaiser Wilhelm, der sonst alles wusste, konnte beispringen.«Die Pflaumenkerne retour!» hiess es endlich am Fernsprecher von Monte Carlo, wohin man sich verzweifelt wandte. Und Fatima, unterstützt von Zuleimah, Veronika und dem kriegerischen Mustafa, sammelte allenthalben die ausgespuckten Kerne in Konstantinopel, Pera und Galata. Die fatale Rechnerin bestieg den nächsten Eilzug nach Europa und leerte vor versammeltem Verwaltungsrat von Monte Carlo einen schweren Koffer auf den Tisch. Doch statt der Pflaumenkerne klingelten goldene Münzen auf das grüne Tuch. Und je leerer der Koffer wurde, desto blasser die violette Fatima.Zufällig blickte bei sich zu Hause Abdul Hamid in diesem Augenblick in den Spiegel und durfte feststellen, wie sein verbittertes Antlitz sich ruckweise entfärbte und die liebe alte Tönung der Zitrone annahm. * * * Der Konflikt konnte auf dem Verhandlungswege beigelegt werden, und ein Diplomat hatte dem türkischen Geschäftsträger zu melden, «man hoffe zuversichtlich, dass man sich fürderhin nicht mehr mit Hilfe der Logarithmen am Casino von Monte Carlo vergreife, afin de ne plus devenir bleu comme une prune». Der Sultan schrieb es seinen Zeitgenossen hinter die Ohren, und noch einige Jahre kursierte das ominöse Wort im Orient.