Peter Mieg über seine Musik

Autobiographische Notiz I, 1966

Denn dies war der Ausgangspunkt bei meinem kompositorischen Schaffen: eine Aussage, die ich nur mir gegenüber machte, die für keinen andern Geltung zu haben brauchte. Sie begann sehr früh, in Kinderjahren; blieb aber meist ungehört vor andern und so auch unkontrolliert. Das mag Vorteile haben; es hat auch seine Nachteile. Ich war und blieb ganz auf mich abgestellt, und was die schöpferische Arbeit anging, schritt sie neben vielerlei Betätigungen weiter als rein private Angelegenheit. In anderer Umgebung hätte es vielleicht nahegelegen, einen Menschen solcher Anlagen dringlicher in die Richtung der Musik zu weisen. Musik als Beruf zu wählen: davon wurde mir kurzerhand abgeraten. Doch eine natürlich Freude am Schöpferischen liess mich dies Schöpferische immer wieder ausüben, in aller privaten Abseitigkeit.Soll ich sagen, was in jenen Jahren am nachhaltigsten auf mich eigewirkt hatte, so ist es Paris: seine Architektur, seine Plätze und Gärten, seine Geistigkeit zogen mich an; nicht allein der lateinische Sinn für Form und Mass wurde mir wegweisend, auch die Musik französischer Meister wie Milhaud, Poulenc, Honegger, vor allem Satie bewegte mich; ich spielte fast täglich, vierhändig an einem oder zwei Klavieren, die Werke von Strawinsky, und was ich bis dahin kaum getan hatte: ich spielte die eigenen Stücke. Die private Sphäre war plötzlich erweitert; es gab Menschen, die mein Vergnügen ernst nahmen, und zum ersten Mal spürte ich so etwas wie eine Verpflichtung zum schöpferischen Werk.Es war ein Anfang, und erst Jahre, viele Jahre später, nach langen Umwegen, die ich, immer meiner Anlage entsprechend, ganz allein zu gehen hatte und die mir niemand abnehmen konnte, fühlte ich das Verpflichtetsein wieder, in stärkerem Mass nun. Das durfte für mich nicht heissen, dass die Schwierigkeiten schöpferischer Arbeit von nun an spürbar würden: war sie mir einst leichtgefallen, so wuchsen jetzt die Ansprüche solcher Arbeit. Schrieb ich früher eine Seite ohne langes Zögern, so entstanden später (und entstehen noch) an einem Tag vielleicht vier bis acht Takte, mehr nicht; sollte es einmal zu einer, sogar zwei im Fluss hingesetzten Notenzeilen kommen, dann ist mein Misstrauen wach: sicherlich ist all dies am folgenden Tag wieder wegzustreichen. Denn dicht muss das Gewebe sein; es muss vor meinem Urteil standhalten. Die Wirkung soll indessen nie die des ringenden Eifers sein.Seit jener Pariser Zeit ist die Latinität für mich wegweisend geblieben, die Klarheit und Logik einer künstlerischen Aussage. Zur Klassizität eines Strawinsky fühle ich mich nach wie vor hingezogen, indes das Tänzerische, das Element des Rhythmischen mich besonders bei Bartók angesprochen hat. Die Vehemenz von Bartóks Musik hat mich unmittelbar ergriffen, besonders seit ich den Proben und Uraufführungen seiner späten Meisterwerke in Basel beiwohnen konnte und aus naher Sicht Teilnehmer seiner geistigen Zucht, seines künstlerischen Ernstes werden durfte.Ein weiterer Meister der Moderne ist für meine Arbeit wesentlich geworden: Frank Martin. Wieder war unmittelbares Angesprochensein durch Musik, was mich ihm nahetreten hiess: ich wurde in bestimmtem Sinn sein Schüler, arbeitete mit ihm in Basel, in Lenzburg, in Genf, und zwar waren es immer greifbare Fragen anhand meiner Kompositionen, die besprochen wurden und von denen der Schritt zu kompositorischen Problemen im allgemeinen getan wurde.Martin, der selber mit dem musikalischen Stoff tiefe Auseinandersetzungen hat, der alles andere als leicht schreibt, wies mir den Weg zur Einfachheit und Durchsichtigkeit. Eigenschaften, die mir eigentlich seit meiner Pariser Zeit und dem Bekenntnis zur französischen Geistigkeit hätten naheliegen sollen. Doch auf der Suche nach dem eigenen musikalischen Ausdruck hatte ich mich in einer starr gewordenen Dichte festgehakt, hatte die übersicht verloren, hatte mich verschiedener Vorbilder bedienen wollen, die mir nicht entsprachen, hatte neben mir gesucht, statt in mir. Martin hat einmal geschrieben, dass er als höchstes schöpferisches Vergnügen betrachten würde, nur das zu schreiben, was ihm zutiefst gefalle; dass dies indessen unendlich schwer sei, diese Erfahrung habe er machen müssen.Diesem Satz muss ich immer beipflichten. Im Grund suche ich ja auch auszusagen, was mir Freude macht. Es ist unendlich schwer, kann ich nur mit Martin betonen. Wenn es mir in den Arbeiten der letzten fünfzehn Jahren gelungen ist, auszusagen, was mir Freude macht, unbesehen der Problematik des Tages (der ich mich keineswegs verschliesse, sondern deren künstlerische Åusserungen ich, auch von Berufs wegen, verfolge), dann sehe ich darin die gewisse Erfüllung einer Verpflichtung.Seit jener Zeit ist kaum ein Stück entstanden, das nicht als Auftragwerk zu bezeichnen wäre. Oft werde ich gefragt, ob solches Schreiben auf Auftrag und zu festgesetztem Termin nicht gehemmtes Eingeengtsein bedeute. Ich kann nur immer sagen: im Gegenteil. Das Schreiben fällt mir mit zunehmenden Jahren und künstlerischen Skrupeln immer schwerer; ohne eingegangene Bindung würde ich mich vielleicht nicht zu einem neuen Stück entschliessen.Das Melodische ist, was mich in den vergangenen fünfzehn Jahren vor allem beschäftigte. Nicht Polyphones, sondern Homophones scheint die mir gemässe Ausdrucksform zu sein. Hier suche ich das Eigene, suche das Einfache, das nach aussen hin oft einfach erscheint, im Grund oft doch nicht so einfach ist. Heute tonal zu schreiben, ist nicht leicht; ich muss es tun, denn innerhalb der Tonalität entsteht die Musik, die mein eigenes Vergnügen ausmacht. Erschöpft ist sie im übrigen nicht.Ich spreche offen von der Anstrengung und scheue mich nicht zu sagen, dass mich jedes Stück unendliche Mühe kostet. Doch anhören soll es sich, als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei. Das ist nicht leicht.(gekürzt aus: Schweizerische Musikzeitung, Nr. 5, 1966) 

Autobiographische Notiz II, 1964

Auch mich kommt es unendlich schwer an, wenn ich das zu sagen suche, was mir Vergnügen macht. Dies Vergnügen beruht auf der Betonung und im Bekenntnis zur Tonalität. Ohne andere Kompositionstechniken ausser acht zu lassen, sehe ich für mich nur den Weg des Tonalen, das, auch daran halte ich fest, seine Wirkungen noch keineswegs verloren hat. Tonale Wendungen können einen neuen Sinn bekommen; ja, ganze melodische Linien, die längstvertraut scheinen, erhalten in neuem Zusammenhang neue Bedeutung, und so sehe ich die Möglichkeiten innerhalb solch selbstgewählter Grenzen als nicht erschöpft.Ich habe nicht den Ehrgeiz, viel zu schreiben, sondern eben Stücke, die mir selber gefallen, die mir entsprechen und die in ihrer Fasslichkeit, in der Deutlichkeit ihrer Struktur, der Transparenz des Klanges, vor allem im Melodischen mein musikalisches Empfinden zu übertragen vermögen, es auch Andern beim ersten Hören mitteilen können.Die Melodie: das ist, was mich in den Arbeiten der vergangenen Jahre beschäftigte. Nicht Polyphonie, sondern Homophonie scheint die kompositorische Form zu sein, die mir entspricht. Dass eine gesangliche Linie schwer zu finden ist, brauche ich in diesem Zusammenhang nicht eigens zu betonen. Sie in ihrer Einfachheit, ihrer Prägnanz zu suchen, macht meine Freude und meine Not aus. 

Kurzer Lebenslauf für USA, 1974

Ich suche eine Musik, die mir selber gefällt, die auch für den Hörer sofort fasslich ist, eine Musik, die klar ist in der Struktur, transparent im Klang und die vor allem aus der Melodie, aus der kantablen Melodie lebt. Eine Melodie zu finden, die fassbar ist, einfach in ihrer Sangbarkeit, ist gar nicht leicht. Ich arbeite denn an meinen Stücken sehr langsam, und nie ohne grosse Mühe. Indessen soll man ihnen die Mühe niemals anmerken, sondern sie sollen so leicht klingen, als wären sie improvisiert.