Noten und Notenschreiben

Da sitze ich denn mit meinem Thema und muss es fortspinnen. Das Schwierige besteht darin, dass sich Takt eins zu Takt zehn und zu Takt hundert und zweihundert und dreihundert so sinnvoll verhalten muss, dass der Bau, sagen wir eines Sonatensatzes, überschaubar und, nochmals, logisch sei. Bei einer Arbeitsweise wie der meinen ist es denn mühsam, um ein gelindes Wort zu brauche, den Überblick zu behalten, besonders, da sich die Arbeit oft über Tage und Wochen, ja Monate hinzieht. Es kann vorkommen, dass mir an einem Tag vielleicht acht Takte gelingen. Sind es mehr, bin ich schon sehr misstrauisch. Überschaue ich am folgenden Tag das Geschriebene, dann muss ich oft all dies mühsam Hingesetzte wegstreichen und neu beginnen. Täglich, täglich muss ich den Mut aufbringen, das Geschriebene mit wachem Sinn und kritisch zu begutachten. Was nicht taugt: ohne Zögern weg!So kommt es, dass ich streiche und nochmals streiche. Ich arbeite ausschliesslich mit der Feder. Wie oft wurde mir empfohlen, mich des Bleistifts und des Radiergummis zu bedienen. Es geht nicht. Ich bin ein Gewohnheitstier und meiner Umwelt durch meine Gewohnheiten schon oft lästig gefallen, ich weiss. Also immer nur mit der Feder, und dann muss es noch blaue Tinte sein. Wie oft haben sich Kopisten über mein Blau geärgert. Es hilft nichts: nur mit blauer Tinte. Und so wird denn Note für Note geschrieben und gewissermassen Note für Note wieder gestrichen.Als wahre Schlachtfelder nehmen sich meine Seiten aus. Edmond de Stoutz hat mehr als einmal gemeint, meine Blättern erinnerten ihn eher an Zeichnungen von Klee als an Musik. Klee ist ja höchst ehrenvoll für mich, zudem war Klee ein vorzüglicher Musiker. Das Geschriebene, an dem ich jeden Morgen sitze, blickt mich immer fragend an. Ich komponiere nur am Morgen, der Morgen ist die herrlichste Tageszeit [...]. Ich muss Mut schöpfen und den fragenvollen Zeichen, den Noten und Durchstreichungen antworten, indem ich sie wieder und wieder durchspiele und prüfe, indem ich weitere Noten und weitere Striche beifüge, solange, bis ich das Ende eines Satzes erreicht habe. Wobei denn dies Ende am folgenden Tag oder am nächstfolgenden durchaus nicht mehr gilt. Jede Note hat ihren eigenen Wert, jeder Takt hat seine eigene Bedeutung, bildet zugleich Bestandteil einer Taktfolge, die wiederum Bestandteil eines ganzen Satzes ist. Alles muss aufeinander bezogen sein, alles ist Bau, alles Architektur. Dabei darf die Wirkung, wird dies Komponierte, dies Zusammengefügte vor dem Hörer gespielt, niemals die des Errechneten sein. Sondern alles soll sich anhören wie ein Leichtes, fast Improvisiertes.(Das Arkanum, S. 34-35) Wegen des Notenpapiers: ich habe seit Jahrzehnten mein Papier aus immer dem gleichen kleinen Geschäft an der Seine gegenüber Notre Dame. Habe aber immer ausschliesslich Seiten zu 16 Linien. Hier ein Muster. Es ist kalkweiss! Adresse: Pugno, 19, Quai des Grands Augustins, Paris 6.(an Gottfried von Einem, Sept. 78) Aber von Fliessen der Arbeit nicht die Spur: alles ist mörderlich hart errungen, jede Note, und das Manuskript sieht aus wie ein durchlöchertes Seidenpapier: so oft ist dein Pariser Notenpapier radiert worden.(an Harry Brown, 24.2.66) Ich finde das Direkt-in-Partiturschreiben ganz toll, ich kann es nicht. Hab im übrigen auch nie den Versuch gemacht. Du freilich kannst es! Natürlich eine hervorragende Konzentrationsübung.(an Gottfried von Einem, 20.1.80) Vernünftigerweise könnte man mir raten, von hier fortzugehen und mich in einer Stadt in einem Apartmenthaus einzurichten oder so. Und vor allem die dumme Notensudlerei aufzugeben.(an Harry Brown, 19.6.62) Es sind nicht alle Komponisten so dumm, auf einen einzigen Takt einen Tag wenden zu müssen. Was ich an diesem ersten Satz [von Comray] schon hin und her geschoben, korrigiert und mit dem Rasiermesser gekratzt habe, geht auf keine Kuhhaut.(an Paul Sacher, 29.1.77) Mein Kopist schreibt heute, er erwarte die Partitur des 6. Liedes, um die Orchesterstimmen genau einteilen zu können; ich musste ihm schreiben, dass er darauf nicht zu warten brauche, denn es gehe mindestens 8-10 Tage, bis ich soweit sei. Ich bin heut wenigstens in der Komposition zum Schluss gelangt, nachdem ich mich letzte Woche total verrannt hatte, und das, was ich in einer Woche fabriziert hatte, für die Katz war. Nun muss ich also dies letzte Lied noch instrumentieren und hernach photokopieren lassen. Dann ist der Zauber endlich fertig.(an Harry Brown, 19.6.62) Letzten Samstag Zürich, wo ich die Partitur meines Berner Stücks durch die Huld einer Professorengattin im Poly billiger photokopieren lassen konnte, mit dem Erfolg, dass die Photokopie nun schlechter ist und dass ich mit 50 Cent in der Tasche nach Hause fuhr. Ich hatte den Mist an Ort und Stelle zu berappen, auf was ich nicht vorbereitet war, und zusammen, Frau und Professor und ich, konnten wir den Kram begleichen. Der Sohn meiner Cousine Mohr-Bally aus Basel, der gerade aus dem Poly kam, fing mich auf und lud mich im Büffet zu einem Kaffee ein. Banken natürlich alle geschlossen!(an Harry Brown, 30.10.64) Und nun beginnt die Tragikomödie mit den Kopisten. Die Orchesterstimmen schreibe ich nicht selber heraus. Das soll ein Fachmann tun. Zudem finden etliche Ausübende meine Handschrift nicht leserlich und ärgern sich über die blaue Tinte. Der Kopist stellt denn das Aufführungsmaterial her, er schreibt seinerseits mit Goldtinte oder weiss Gott mit welchen geheimnisvollen Mitteln, schreibt auf Transparente, die dann vervielfältigt werden. Ich habe, ehe er sie vervielfältigt, Korrektur zu lesen. Note um Note ist mit meiner Originalpartitur zu vergleiche, eine dicke Arbeit, und auch wenn ich genau zu kontrollieren glaube, bleiben Fehler stehen. Im Grund müssten nicht nur vier, sondern sechs oder acht Augen Korrektur lesen. Ich korrigiere mit roter Tinte oder reotem Kugelschreiber. Die Blätter sehen wie ein Schlachtfeld aus. Der Hersteller des Materials kennt diesen Kummer, der Komponist gleichfalls, So bereitet man sich gegenseitig Freude.(Das Arkanum, S. 42) Wenn sich keiner deiner Verleger bequemt, bleibt wohl nur der Ausweg, dass deine Partitur photokopiert und gebunden oder in ein Spiralheft getan wird. Deine Partituren sind ja so hervorragend schön geschrieben, dass dies ohne weiteres geht. Das Stimmenmaterial freilich müsste durch einen Kopisten hergestellt werden. Und Kopisten werden nachgerade auch ein Mangelberuf. Als Mitglied des Tonkünstlervereins habe ich die Möglichkeit, bei dieser herrlichen Institution Ansprüche auf einen Beitrag zu stellen, meist wird etwa die Hälfte der Kosten vergütet. habt ihr bei euch nich eine solche Möglichkeit? [...] Es gibt in Zürich freilich einen Kopisten, der ganz hervorragendes Material liefert. Er ist entsprechend teuer, und zudem ist er punkto Lieferzeit nicht zuverlässig. Ich sass auf Nadeln, als er mir die Stimmen für die Schlossbildermusik herstellen sollte. Dauernd nahm er andere Arbeiten an, und so hatte ich, und andere, zu warten.(an Gottfried von Einem, undatiert, Frühling 82) Gleichzeitig kam endlich die Sendung von Eisenhauer mit dem 3. Satz. Ich sass auf Kohlen, erwartete ihn schon vor Tagen. Nun endlich! Ich hab ihn sofort unter Stöhnen durchkorrigiert. Du ahnst ja nicht, wie rot das Zeug aussieht, wie unendliche Fehler darin stecken. Dabei können mir auch noch welche unterlaufen.(an Harry Brown, 11.12.61) Heut sind Partitur sowie Stimmen [zu Combray] bei mir eingetroffen. Sie sind himmlisch schön! Perfekt, wunderbar! Hoffen wir, das Zeug klingt dann entsprechend. Ich lese nun Korrektur, keine kleine Arbeit, da jede Note kontrolliert werden muss. Dabei ist ja nicht einmal sicher, ob ich alle Irrtümer sehe.(an Paul Sacher, 23.9.77) Es ist schrecklich, dass in einem korrigierten Druck immer noch Fehler stehenbleiben. Aber das war immer so... Und im Grund müssten sechs oder acht Augen Korrektur lesen, nicht nur vier. Und wie gut haben es die “heutigen” Komponisten! Da hört man leicht einen falschen Ton für richtig. [...] Nicht wahr, der Komponist muss sich dann recht dumm vorkommen, wenn er selber all das übersehen hat. Aber man ist halt einfach manchmal blind, und Aussenstehende haben die schärferen Augen. In fremden Texten entdecke ich Druckfehler leicht, in eigenen sehr viel weniger leicht.(an Paul Sacher, 23.12.77) Es scheint, dass höhere Fügung obwaltete, denn erstens war im 1. Satz enorm viel zu korrigieren: es sieht aus wie auf dem Schlachtfeld. Und zweitens hat mein Kopist im 2. Satz, der heute morgen kam, einen Grundirrtum begangen und 11 Takte im Orchesterpart überhaupt übergangen: so ein Wahnsinn! Ich habe ihm den ganzen Bettel per express zurückgeschickt nach Konstanz, und soeben hat er, wiederum telegraphisch gebeten, mich angerufen und ist über seine Eselei aufgeklärt worden. Das wäre nun alles liegengeblieben, und er hätte mit kopieren seelenruhig fortgefahren. Es ist zum ausderhautfahren.(an Harry Brown, 23.11.61) Ha ja: die Sinfonie-Partitur vom Verleger hatte ich zu korrigieren: 177 Seiten! Ein Chrampf, sag ich dir!(an Harry Brown, 19.2.60) Die gestochenen Stimmen zum Vierhändigkonzert sind wahrhaft umwerfend, unwahrscheinlich. Das Korrigieren ist jedesmal eine Fron und Tortur, aber nicht zu umgehen.(an Gottfried von Einem, 18.3.83) Der Klavierauszug ist abgeschrieben, die Partitur bis zum letzten Lied fertig. Ich brauch jetzt nur noch all den teuren Kram zu berappen und dann glücklich aufzujauchzen.(an Harry Brown, 5.6.62) Ich war dankbar zu hören, dass dir meine Noten etwelches Vergnügen bereiteten. Sie sind wenigstens schön gedruckt, da ist nix zu sagen.(an Gottfried von Einem, 26.10.79) Heut morgen musste ich auf den gestrigen Brief noch Nachfrankatur kleben, da zu schwer. Für das haben sie auf unserer hl. Poscht Zeit, die Affen: Briefe wägen! Wie gern tät ichs, wär so viel schöner als Noten malen.(an Gottfried von Einem, 2.9.81) Ich lebe teils beglückt, teils voll Verzweiflung diesen sog. Künsten, und falle jeden Tag mehrmals in das Loch der Depression. Zwar male ich unentwegt Bilder und sitze täglich pressend am Klavier. Doch das Vorankommen ist minim und unter grässlichen Qualen.(an Harry Brown, 1964)