Freund Max

von Hans Georg Matter

Es war in den 50er Jahren, als Peter Mieg fand, es sei nun höchste Zeit, dass ich endlich meinen «entfernten Vetter» kennenlerne. Franz Max Herzogs Vater hatte nämlich geglaubt, er sei mit der Familie meines Urgrossvaters, General Hans Herzog, nahe verwandt. Dies war ein Irrtum. Da jedoch beide Familien aus dem Fricktal stammten, besteht die Möglichkeit, dass sie in ferner Vergangenheit einen gemeinsamen Ahnen besassen. Anlässlich einer Ausstellung seiner Bilder in einer Basler Kunstgalerie habe ich dann Max Herzog kennenlernen dürfen. Sein Werk und seine einzigartige Persönlichkeit beeindruckten mich sofort in starkem Masse. Eine tiefe Freundschaft bildete sich spontan. In der Folge kam er öfters zu kürzeren oder längeren Aufenthalten zu mir nach Kölliken. Er fühlte sich in meiner Breitenegg sehr wohl und war tief dankbar dafür, dass er auch in den Familien meiner Geschwister freundschaftlich aufgenommen wurde. Denn er brauchte Sympathie und Anteilnahme. Sein wichtigster Freund war und blieb Peter Mieg. Ein wunderbares gegenseitiges Geben und Nehmen verband die beiden so stark ausgeprägten Persönlichkeiten. Wahre, edle, alles Menschliche umfassende Freundschaft war unserem lieben Max ein hohes Gut. Er hat Menschen, denen er seine Zuneigung entgegenbrachte, sehr viel geschenkt und gegeben. Aber er hat auch reiche Freundestreue entgegennehmen dürfen, Freundschaftsbeweise von Seiten treuer Freundinnen und getreuer Freunde, die in Freud und Leid zu ihm gestanden sind; und er war tief dankbar dafür. Mit ihrer Zuneigung haben sie das Leben des Künstlers bereichert, ihn oft gestützt und ermutigt, aber er hat noch mehr das Leben dieser Freundinnen und Freunde reicher und lebensvoller zu gestalten gewusst. Wenn ich auch seine zwei veröffentlichten Bücher mit Anteilnahme gelesen habe, steht mir der Maler hoch über dem Schriftsteller. Herzog gehörte tatsächlich zu den bedeutendsten Malern seiner Zeit. Die sieben Gemälde, die ich zum Teil gekauft, zum Teil geschenkt bekommen habe, behalten ihre kraftvolle Aussage. Ganz besonders schätze ich die «Table de Boudoir» und den «Blick aus dem Fenster auf den Hafen von Saint-Tropez». Ersteres erinnert stark an Braque. Aber das durfte man dem Künstler nicht sagen, er sei «durchaus eigenständig und keineswegs Braque-Schüler». Zum Dank für einen für ihn erholsamen Aufenthalt in Kölliken schuf er für mich ein Wandgemälde über dem Kellerabgang: eine lichtvolle Côte d'Azur-Landschaft mit seinem jungen Freund Philippe und dem Hündchen Wawa. Dass Philippe so früh aus dem Leben schied, war für Max unfassbar tragisch. Vor allem für ihn hatte er in Ste. Maxime eine reizende Kunst- und Antiquitäten-Galerie eröffnet. Ich besuchte ihn dort. Doch nach dem Tod des jungen Freundes gab er diese Boutique dann sehr bald auf. Max Herzog hatte einen unfehlbaren Sinn für das Stimmende. Dazu war er manuell äusserst geschickt, sodass er sich auch als hervorragender Innenarchitekt betätigen konnte. Anlässlich meiner Hausrenovation zeichnete er z.B. ein formvollendetes grosses Büchergestell, das dann von unserem Fabrikschreiner angefertigt wurde. Oder er kleidete die Tablare einer Glasvitrine in äusserst kniffliger Arbeit mit Stoff aus zur Aufnahme von Porzellan, schlug Farben für Vorhänge und Wände vor, elektrifizierte ganz allein zwei gläserne Kerzenständer, wies mich auf zu kaufende Antiquitäten hin usw. Ein hoher persönlicher Charme ging von Max Herzog aus. Dazu – neben seiner Bildung und Kultiviertheit, neben seinem genuinen Künstlertum – ein tiefes Interesse für alles Menschliche, ein intuitives, bisweilen geradezu hellseherisches Erfassen der ganzen Person und auch des verborgenen Innenlebens seiner Mitmenschen. Es schien, als könne er tatsächlich in diese hineinschauen und ihre Regungen und Beweggründe klar aufdecken. Erstaunlich, aber auch etwas unheimlich. Wie häufig fragte er mich aber auch «Was dänksch?», wo er sich doch so sehr für das Innenleben seiner ihm Nahestehenden interessierte. Nicht umsonst musste er sich dann und wann auch als Arzt und Seelsorger betätigen. Denn er hat die Freuden und Leiden dieser Welt nach allen Seiten hin am eigenen Leib erfahren. Sein Leben war – auch in seinen glücklichen Tagen – von einer beständigen Tragik überschattet, einer Tragik, die ihre Geschichte schon in Maxens Jugendzeit hat: ein schon in Jahren stehender Vater, äusserst aktiv, robust, weltoffen, gebieterisch, der den Sohn wohl liebt, ihn aber gerne anders geformt hätte und den älteren Sohn, der dann in jungen Jahren sterben musste, ständig vorzieht und damit dem Zweitgeborenen Unrecht tut. Eine aussergewöhnlich feinfühlende, hoch kultivierte Mutter, die den Sohn überaus liebt, ihn dadurch aber auch verzärtelt und allzu fest an sich bindet, sodass er sie in ihren späteren Jahren vorbildlich pflegt und sich für sie aufopfert, wobei aber die Entfaltung seiner eigenen Persönlichkeit und seiner künstlerischen Befähigungen gehemmt wird. Aber schliesslich siegt die starke Natur unseres Freundes immer wieder und behauptet sich. Von seiner Mutter her dem Deutschtum verbunden, als Jüngling ein Bewunderer Englands, ist später Frankreich seine zweite Heimat geworden und lange Zeit geblieben. Romanisches Wesen, das menschlicher sein kann als germanisches, war für Max ein wunderbares Fluidum. Doch sein Baseldytsch hatte er immer beibehalten. Er kam zurück und hatte dann Luzern – im schönen alten Patrizierhaus Lützelmatt, umsorgt von der damaligen Leiterin Wilma Hammelbacher, die auch einen Oeuvrekatalog seiner Gemälde zusammenstellte – und seine Umgebung als Wohnort und Arbeitsstätte lieben gelernt. Und er wurde sich seines Aargauertums wiederum bewusst: Weltbürger und Verwurzelung in der engsten Heimat. Mitten aus einem unbändigen Schaffensdrang heraus ist er 1961, bald nach seinem fünfzigsten Geburtstag, abberufen worden. Eine Freundin schrieb: «Mit Max erlebte ich zum ersten Mal die volle Breite des Lebens, ohne sich festzulegen auf eine Linie im Äusseren. Die Weite in seinem Wesen, für ihn selbst oft eine tiefe Qual, war für seine Freunde ungeheuer bereichernd.» Für mich war er eine der faszinierendsten Persönlichkeiten, grossartiger Gesprächspartner und wunderbarer Freund. [Hans Georg Matter *1916. Nach Sprach- und nationalökonomischen Studien in der Leitung des der Familie gehörenden Textilunternehmens in Kölliken tätig. Aarg. Erziehungsrat, Präsident der Aarg. Kulturstiftung Pro Argovia und des Philipp-Albert-Stapferhauses auf Schloss Lenzburg. Mit Peter Mieg und Franz Max Herzog befreundet.] 

 
FMHMoritz Reich