Peter Mieg über die Malerei

Den Pinsel schwingend

«Aller Anfang ist schwer.» Wie kommod fängt es sich mit einem Sprichwort an, auch wenn sein Sinn den Inhalt des Folgenden keineswegs entspricht. «Warum beginnen Sie denn damit?» kann mich einer fragen. Ich würde ihm antworten, es sei doch so dekorativ, einer Abhandlung ein Sprichwort voranzusetzen, das eine gewisse Ernsthaftigkeit garantiere. Ich werde aber keine Abhandlung über meine Malerei schreiben, werde auch keine stilkritischen Fragen erörtern. Das, wenn solche Erörterungen überhaupt vonnöten sind, überlasse ich gern andern. Uli Däster hat sich mit meinen Bildern beschäftigt und hat sie in der bei Sauerländer erschienenen Monographie auf gültige Art charakterisiert, hat Frühes Späterem gegenübergestellt und Thematisches wie Darstellerisches mit den Worten des Kenners umrissen.

Meine Malerei angehend, muss ich, im Gegenteil, festhalten, war immer ungezwungen: Aller Anfang war leicht. Sie war von Anbeginn an vorhanden, genau wie die Musik. Weder von der einen noch von der andern wurde Aufhebens gemacht. Es wurde musiziert, es wurde gemalt. Es ergab sich von selbst, dass sich das Kind gleicherweise beiden künstlerischen Äusserungen zuwandte. Über das frühe Tun auf dem Gebiet der Musik habe ich bereits geschrieben. So muss ich mich denn vor Wiederholungen zu hüten trachten, jenen Brief Gottfried Kellers vor Augen haltend, in dem er schrieb, er hätte murrend seiner Schwester einen langweiligen Roman von Auerbach hingeworfen mit der Bemerkung, die Veröffentlichung lasse auf senile Vielschreiberei schliessen. Worauf die nüchterne Regula geantwortet habe, es werde eben allen gleich gehen, wenn sie alt werden. Keller sagt seinem Briefpartner, diese erste literarische Bemerkung seiner Schwester hätte ihm eine Gänsehaut gemacht: «Wer sagt einem, man solle aufhören?!» Das ist der heikle Punkt: die Gefahr des sich Wiederholens.

 

Vorerst tauche ich unbefangen in die malerischen Urgründe, und da finden sich nicht Farben, sondern Bleistiftstriche von grosser Vehemenz. Alles war mir erlaubt, alles erduldete man von dem krankheitsanfälligen Kind. Bei den Damen Schwarz, die mit uns das vom Urgrossvater Theodor Bertschinger-Amsler 1852 erbaute Eckhaus Aavorstadt/Graben bewohnten, durfte ich bei meinen Besuchen jenes Kinderbuch von Staub beschauen mit seinen grossen farbigen Schilderungen von Baum und Strauch, Blüte und Frucht, von Landschaften im Wechsel der Jahreszeiten. Zwischen den Bildern fanden sich leere Seiten, finden sich noch, denn das Staub-Bilderbuch ist bei mir. Und was durfte das verzärtelte Kind? Es durfte mit dickem Bleistift zeichnen: Es waren lauter Eisenbahnzüge, mit ungehemmter Leidenschaft quer über das weisse Doppelblatt gezogen. Die Damen Schwarz geboten dem Unfug keinen Einhalt, hatten vermutlich nur ein Lächeln für solches Tun.

Eisenbahnen, Wagen, Lokomotiven, Räder, Rauchfahnen. Kinder pflegen doch sonst Töggeli zu zeichnen. Es gibt sie nirgends. Das kindlich rasante Gekritzel in Staubs Bilderbuch fand, wohl einige Jahre danach, täterische Fortsetzung in einem ersten Bild, und zwar in Ölfarbe. Was malte ich da auf ein Brettchen? Eine blaue Kirche in Landschaft. In der Luft schwebt ein Storch, schwebt ein gelber Zeppelin. Beides Erfahrungen aus der Dingwelt. Die Störche waren mir vertraut von den Beobachtungen auf der Terrasse des grosselterlichen Hauses hinter der Kirche. Der Zeppelin war ein einmaliges Erlebnis, vermutlich 1911 oder 1912.

 

Wie kam ich zu den Ölfarben? Meine Mutter malte mit ihnen; sie hatte sich die Technik auf der Ecole des Beaux-Arts in Genf angeeignet, malte Landschaftliches, Figürliches, später, als sie von Aufgaben des Hausstandes und der Kindererziehung beansprucht war, meist Dekoratives, Spanschachteln, Truhen, Fussschemel, Lampenschirme. Eine Zeit lang bemalte sie auch Teller und Krüge, die in Nyon gebrannt wurden. Als die Enkel kamen, erfand sie Kindergeschichten, die sie auf Geburtstage und Weihnachten schrieb und illustrierte. Ungezählt diese Kinderbücher innerhalb der Verwandtschaft, immer original mit Schrift in Tusche und Malereien in Wasserfarbe. Ein einziges Mal wurde eine ihrer Kindergeschichten gedruckt.

Mein Bildchen mit Storch und Zeppelin entstand eben zu jener Zeit, da meine Mutter Ölfarben verwendete, was später nur selten der Fall war. Ihre Staffelei aus Genf benütze ich nun selber; ihr Ölkasten mit Pinseln, Spachteln, eingetrockneten Farben ist noch vorhanden. Merkwürdig: auch wenn mir die Öltechnik vorgeführt wurde, ich mich selber darin versuchte, blieb sie mir im Grund fremd. Zwei oder dreimal nahm ich einen Anlauf, gemeinsam mit dem Malerfreund Franz Max Herzog; dann in dem Augenblick, da mein Galeriemann Josef Raeber fand, ich müsste mich nun doch auch mit dieser Technik befassen, mir Farben und ermunternde Worte schenkte: die Ergebnisse blieben unbefriedigend, das Malen mit Ölfarben entsprach nie einem Bedürfnis, verlor sich völlig.

 

Meine Mutter hatte sich, noch als ich Kind war, auf die Wasserfarbenmalerei umgestellt. Im übrigen zeichnete sie ebenso oft; dass sie im zeichnerischen Strich zu grosser Sicherheit gelangt war, ist aus den zahlreichen Skizzenbüchern zu erkennen, die ich aufbewahre. Beim Beschauen dieser Zeichnungen sehe ich mich immer vor der verwirrlichen Frage, ob sie mit der Linken oder der Rechten gemacht worden seien. Meine Mutter war von Geburt Linkshänderin, musste sich aber während der Schuljahre an den Gebrauch der Rechten gewöhnen. Oft geht aus den Schraffuren deutlich hervor, dass die Zeichnung mit der Linken ausgeführt wurde, oft auch setzte sie Ort und Datum mit der Linken in Spiegelschrift darunter. Auf den vielen Blättern in leinengebundenen Skizzenbüchern aus den neunziger Jahren sind Landschaften, Figuren oder Interieurs geschildert, Momente von ihren Aufenthalten in Sofia, Genf, Sirmione, Stuttgart oder auf Brunegg, wo sich die beiden Cousinen auf der obersten Terrasse gegenseitig porträtierten; denn Marie Hünerwadel, spätere Frau von Salis, hatte die gleiche darstellerische Leichtigkeit wie meine Mutter. Also verwandtschaftliche Züge auf dem Gebiet der Kunst? Im übrigen gibt es in diesen Skizzenbüchern auch manche von meinem Grossvater gezeichnete hübsche Landschaften, entstanden beispielsweise bei einem Kuraufenthalt in Albisbrunn, jener Kaltwasserheilanstalt, die vorher von Richard Wagner, dem Wasserfanatiker, heimgesucht worden war. Dass Alice Hünerwadel, die Stifterin des Heims, eine vortreffliche Zeichnerin und Malerin war, dass sie sogar unterrichtete, darf als bekannt gelten. Dass es auch einen Porträtisten des Namens Jérôme Hünerwadel gab, werden wenige wissen. Der weitaus bekannteste Künstler unter den Hünerwadel ist unser Bildhauer Arnold Hünerwadel, dessen bedeutendste Werke sich in Zürich finden.

 

Zeichnen und Malen war eine schöne Beschäftigung; seit frühen Tagen bis auf die heutige Zeit entsprach es einem Bedürfnis nach Tätigsein. «Il faut que je m‘occupe», sagte ich Huguette Wälli, als ich in der ersten Stunde nach der Ankunft in Cannes zu malen begann. Dies Tun, diese Marotte, wenn man will, hat sich fortgesetzt, und sie entspricht einem Drang nach Kreativem, ganz gleichgültig, wie das Ergebnis ist. Zum Sinn und Zweck des Vorzeigens, des Ausstellens gar wurden diese Dinge nie gemalt. Das Vorzeigen und Ausstellen gehörte einer viel späteren Stufe meines Lebens an. Das dauernde Malenmüssen war etwa auch mit einem Aufenthalt bei meinen Verwandten Kienast in Zürich verbunden, die an der steilen Schienhutgasse ein höchst stimmungsvolles altes Haus bewohnten, geborgen unter der Polyterasse und ein paar Schritte von der neuen Universität, deren Bau mich beeindruckte, und deren Eingang zum Biologischen Institut ich malte. Täglich ging ich ins Landesmuseum, wo ich Öfen und Möbel zeichnete. Sie fanden Verwendung bei der auf Karton gemalten Stadt, deren Fassaden einer Reihe berühmter Bauten in Deutschland entsprachen. Die Frauenkirche zu München, das Rathaus zu Münster in Westfalen, das Zeughaus zu Augsburg, doch auch das Münster zu Bern wurden nach Photographien abgezeichnet und farbig frei behandelt; die meisten dieser Bauten lernte ich erst sehr viel später in Wirklichkeit kennen. Ich wusste nur, dass die Kuppelhelme der Münchner Frauenkirche grün seien. Das Mauerwerk bekam bei mir einen Ton von leuchtendem Orange.

 

Auf der Innenseite dieser aufstellbaren Häuser («praktikabel» würde man sie in der Theatersprache nennen) malte ich Stiegenhäuser und Zimmer, die mit dem Inventar des Landesmuseums ausgestattet waren. Irgendwo findet sich auch das Treppenhaus unserer «Burghalde»: denn die kannte ich seit den Zeiten, da sie von Charlotte Ziegler-v. Gonzenbach, später von ihrem Sohn Eugen bewohnt war. Dass ich die schöne Treppe des Burghaldenhauses gemalt hatte, erfuhr von den Besitzern niemand, wie überhaupt kein Mensch von dieser Stadt wusste, ausser den Kindergespielen, die sie bei uns auf dem lang ausgezogenen Tisch des Esszimmers aufstellen und bewohnen durften.

Die wirklichkeitsnah wiedergegebenen Bauten waren mir aus den «Blauen Büchern» vertraut, aus denen ich sie abzeichnete. Es war offensichtlich eine Vorliebe für historische Gebäude von architektonischem Rang. Architektur interessierte mich immer, und sicherlich hätte ich ein Architekturstudium dem kunstgeschichtlichen vorgezogen, wenn meine mathematischen Fähigkeiten grösser gewesen wären. Es gab indessen nicht nur die «Blauen Bücher». Meine Eltern waren jahrelang auf eine schweizerische Architekturzeitschrift abonniert, wie auch auf die Hefte «Deutsche Kunst und Dekoration». Das war zur Zeit des Jugendstils, der in gewissen Stickereien oder anderen kunstgewerblichen Dingen meiner Mutter seinen Niederschlag fand. Später war meine zehn Jahre ältere Schwester als Schülerin der Zürcher Kunstgewerbeschule und der Töpferfachschule in Bern auf die deutsche Zeitschrift abonniert. Ich beschaute diese Hefte mit regstem Interesse, was Architektur, Malerei und Plastik betraf.

Wesentliche Eindrücke aus dem Bereich neuerer Malerei vermittelte auch ein Mappenwerk, auf das meine Eltern während Jahren abonniert waren, die «Meister der Farbe». Einer der grossen deutschen Kunstverlage veröffentlichte in regelmässigen Abständen die dunkelgrau eingeschlagenen Hefte, die jeweils neben kurzen Einführungen fünf oder sechs hervorragende Farbwiedergaben nach Bildern enthielten. Oft galten einzelne Hefte einem einzigen Künstler, etwa Menzel, Waldmüller, Thoma, Feuerbach, Marées, ebenso oft aber waren in einem Heft verschiedene Schulen vertreten, jene von Paris, Düsseldorf, München, Berlin. Eines der Hefte galt Van Gogh, und das bekannte Bild mit der Ziehbrücke von Arles mit der Figur in reinem Schwarz und mit einem Haus, dessen Dach rein rot-weisse Streifen aufwies, machte mir grossen Eindruck.

Dass einzelne Bilder mich zu Repliken anregten, glaube ich nicht, so wenig Bilder oder farbige Steindrucke, die bei uns aufgehängt waren, in meiner kindlichen Malerei anklangen. Es gab einige Landschaften meiner Mutter, darunter ein Panneau im Querformat mit buntbekleideten Mädchen auf grüner Wiese, ein Bild, das immer in einem der Kinderzimmer hing, es gab jahrelang den grossen Druck mit einer Berglandschaft von Hans Beat Wieland, den meine Eltern an sichtbarer Stelle vor sich wünschten, weil sie mit dem damals sehr bekannten Maler befreundet waren (in einem der vielen Photoalben findet sich sogar eine Aufnahme von Wieland an der Staffelei auf der Frutt). War ich bei den Verwandten in Zürich oder Basel, wurde ich in die Museen, in Konzerte oder Opern geführt, aber malerisch war kein Echo des Geschauten, des mit grosser Ehrfurcht und unkritisch Geschauten, festzustellen. Kritik zu üben war nicht erlaubt. Höchstens hiess es, sie sei gestattet, wenn wir es besser machten. Worauf wir natürlich schwiegen. Das waren die erzieherischen Richtlinien nach der Jahrhundertwende.

 

Es gab auch die Beziehungen zu Malern, die dann und wann ins Haus kamen. Der St. Galler Theo Glinz zählte zu den regelmässigen Besuchern (sein Vater war Zeichenlehrer an der Lenzburger Bezirksschule gewesen), es erschien auch der Berner Fritz Pauli, der meinen Eltern zur Erinnerung eine seiner frühen Radierungen, handkoloriert, schenkte, ein Blatt, das noch den Geist von Albert Welti atmet. Des öftern erschien auch der durch Hans Wälli, damals Chef der Hero, in einige Lenzburger Häuser eingeführte Münchner Maler Arnold Baur, vorzüglicher Vertreter der dortigen nachimpressionistischen Landschafterschule. Sein von meinen Eltern erworbenes Bild mit dem Blick aufs Schloss vom obern Haldenweg hing jahrelang an bevorzugter Stelle. Die Landschaften, Porträts oder Stilleben, die im Haus Wälli an der Bahnhofstrasse hingen, fesselten mich sehr. Ein Ereignis besonderer Art war die Stunde, als die beiden hohen Panneaux für die Halle, darstellend zwei Paare, die Penaten des Hauses, aus München eintrafen. Es waren eigentlich Wandbilder, doch in Öl auf Leinwand gemalt, die links und rechts von einer Tür aufgezogen wurden.

 

Freundschaftlichen Verkehr pflegten die Eltern mit dem damaligen Zeichenlehrer François Guinand, der die Porträts meiner Geschwister malte. Während meiner Bezirksschuljahre bezeigte ich offenbar so viel Interesse an der Malerei, dass man mich einige Zeit bei Herrn Guinand Privatunterricht nehmen liess. Doch war das Ergebnis nicht sehr ermunternd. Ich durfte bei ihm malen, was mich amüsierte. Mehrmals stieg ich zur «Bärenburg» hinauf, wo Herr und Frau Guinand damals wohnten und wo unterhalb des Hauses ein kleines Atelier errichtet war. Da malte ich unter seiner Aufsicht ein paar Stilleben, auch eine Phantasiestadt im Stil Spitzwegs, den ich schon damals aus Büchern kannte. Erinnerlich sind mir vor allem die Pausen, bei denen es einen auf dem Ofen geschmorten Apfel zu kosten gab. Ich glaube nicht, dass ich je durch Unterricht sehr gefördert wurde, auch später nicht, als an der Bezirksschule Hans Walty wirkte, der wohl genau beobachten lehren, seine Schüler aber nicht in bestimmter Richtung weisen konnte, wohl auch nicht wollte, denn er war viel zu stark mit seinen eigenen Forschungen und Darstellungen beschäftigt. Eine Zeitlang befasste er sich mit Heraldik und liess uns Wappen zeichnen, wobei er eine erstaunliche Kenntnis auf diesem Gebiet bewies. Dann wieder waren alte Schiffe aktuell, dann Schlösser, dann Halbedelsteine, dann Pilze, und ob es sich um Schiffe, Schlösser, Pilze oder Achate handelte: er war immer völlig auf dem laufenden, gab seine Erklärungen, in die er auch boshafte Bemerkungen oder Anekdotisches einfliessen liess, sowohl aus der Zeit, da er in Leipzig lebte und die dortigen Kirchen dekorierte, als auch ganz einfach aus dem Tagesgeschehen von Lenzburg, dessen chronique scandaleuse ihm offenbar bekannt war. Hans Walty war ein Original, und als solches gehörte er eigentlich durchaus in die Reihe der Lenzburger Zeichenlehrer. Da meine Eltern mit ihm und seiner Frau befreundet, da sie zudem Nachbarn waren, tat ich hie und da Einblick in seine Häuslichkeit und bekam so das, was er an Porträts oder Landschaften geschaffen hatte, zu sehen. Zu seinem kleinen Garten vor dem Haus hatte er nahe Beziehung, er erklärte uns in den Schulstunden, welche altmodischen Blumen er wieder anzusiedeln gedenke, Aurikel, Kaiserkrone, Schneeglocken. Ein dritter Zeichenlehrer war mir mit Adolf Weibel am Aarauer Gymnasium beschieden; auch er ein Original, kinderlos und oft auf Reisen mit seiner Frau Rosa. Er war einer der frühen Automobilisten, dessen Vehikel mit einer Hupe ausgerüstet war, die ein «Py» von sich gab, weshalb er den Zunahmen Py bekam. Auch er liess mich völlig frei malen, seien es Aspekte aus dem alten Aarau, seien es Stilleben, zusammengestellt mit den Requisiten aus den vielen Schränken im korridorähnlichen Nebenraum des Zeichensaales. Nie Korrekturen von seiner Seite, im Gegenteil, er fand, man könne es auch so machen. Nur ein einziges Mal brach er mit seiner weinerlichen Stimme aus: «Sie malen alles rot und blau». Dies, als ich eine Aarauer Gegend in Rot und Blau umgesetzt hatte. Das nächste Mal gab ich mir sehr Mühe, ein paar alte Häuser (ich glaube, es war an der Golattenmattgasse) nur auf Grau abzustimmen.

Das wohl grösste Verdienst von Adolf Weibel bei unsern Zeichenstunden war, die Klasse in die Ausstellungen, damals noch im Saalbau, zu führen und auf die Eigenschaften des Ausstellungsgutes, sei es von aargauischer, sei es von schweizerischer Herkunft, aufmerksam zu machen. Er hatte ein hervorragendes Urteil und einen ausgesprochenen Qualitätssinn. Als ich 1983 bei der zweiten von drei Darbietungen der Sammlungsbestände im Kunsthaus Aarau alle die Bilder wiedersah, die angekauft wurden, als Adolf Weibel Konservator war, musste ich mir sagen, dass diese Bilder ausschliesslich dank dem Urteil unseres Lehrers in die Sammlung gelangten. Da waren Bilder von Barraud, Eugène Martin, Blanchet, die zu den besten dieser Maler zählten. Sie waren mir vertraut seit den zwanziger Jahren, als sie auf Ausstellungen im Saalbau figurierten.

Auf einer jener Saalbau-Ausstellungen um 1925 sah ich auch zwei Bilder von Otto Wyler, deren eines «Nelken vor hellem Grund», deren anderes «Nelken vor dunklem Grund» hiess. Es waren unzweideutig die gleichen Blumen, doch wie verschieden nahmen sie sich vor den wechselnden Hintergründen aus. Die Art, wie Wyler die Nelken farbig umgewertet und zu den Gründen in Beziehung gesetzt hatte, fesselte mich: Die Bedeutung der Farbe wurde mir bewusst. Mit dem Maler kam ich wohl erst einige Jahre danach ins Gespräch; er setzte mir seine künstlerischen Probleme auseinander, besah auch mehrere meiner Arbeiten, deren «dekorative» Eigenschaften er vor allem hervorhob. Für einige Zeit überliess er mir ein in Nizza begonnenes Blumenstück mit Nelken vor Meerhintergrund. Das Bild war nicht vollendet, hatte aber genügend innere Spannung, um als fertige Komposition zu gelten. Später nahm er es wieder zu sich, um es zu beenden. Als ich es in seinem endgültigen Zustand sah, fehlte mir jene Besonderheit der nichtfarbigen Flächen, und die Frage des non-finito beschäftigte mich lange, nicht nur damals, sondern bis auf den heutigen Tag.

 

Jenes Rot und Blau einerseits, jenes Grau in seinen leisen Stufen andererseits gaben mir zu denken: Wie war es möglich, sich malerisch in so auffällig gegensätzlichen Mitteln auszudrücken? Das Widersprüchliche gab mir nicht allein bei meinen eigenen bescheidenen Versuchen zu schaffen, sondern liess mich auch nicht los, als ich mich mit den Illustrationen des hochbedeutenden Engländers Rackham befasste. Meine Eltern hatten mir zu vielen aufeinander folgenden Weihnachtsfesten Bücher mit den Bildern dieses Meisters der Zeichnung und Malerei beschert. Zuerst waren es nur die illustrierten Werke, mit hervorragend wiedergegebenen Bildern zum «Weihnachtsabend» von Dickens, dann zu den Fabeln des Aesop. Es folgten die nur in der englischen Originalausgabe vorhandenen Bücher mit den altenglischen Balladen, mit «Alice‘s Adventures in Wonderland». Daneben ein bibliophiler Band mit den Märchen von Grimm, zu denen ein französischer Schüler von Rackham, Edmund Dulac, die Illustrationen geschaffen hatte. Auch sie Beispiele einer ausserordentlichen, ja geradezu virtuosen Könnerschaft. Ich bin überzeugt, dass der Begriff «Kunst kommt von Können» durch diese Bildbände bestätigt wurde, und ich bin altmodisch genug, auch heute daran zu glauben, heute, wo Könnerschaft überhaupt nicht mehr zählt.

 

Als letztes Buch von Rackham, das in der Schweiz aufzutreiben war, erhielt ich das «Book of Pictures», das, ohne Text, oder nur mit einem Vorwort, den ganzen Reichtum dieses Schaffens ausbreitete, Figürliches, Illustratives, Stimmungshaftes, Eingebungen des Augenblicks: Alles verwirklicht durch die Hand eines ganz grossen Meisters, der mit der braunen Sepiafeder die Umrisse festhielt und dann kolorierte. Doch, und das war es, was mich so verwirrte, es gab da auch rein malerische Bilder, malerisch weiche und diffus hingesetzte Londoner Landschaften, mit dem Regent‘s Canal oder einem herbstlichen Flussufer. Da brauchte Rackham keine konturierende Feder, sondern setzte nur Farbe neben Farbe. Wie waren solch widersprüchliche Darstellungsweisen möglich? Sie stammten ja von der selben Hand.

Früh hatte ich solchen Zwiespalt im Darstellerischen hinzunehmen, und nicht allein auf dem Gebiet der Bildenden Kunst. Es erwies sich, dass Widersprüche ein ganzes Leben kennzeichnen können. Man musste mit ihnen rechnen; unbedingt angenehme waren sie nicht.

 

Mit diesen englischen Büchern ist vielleicht eine weitere Quelle für die eigene Arbeit auf dem Gebiet der Malerei erwähnt; jedenfalls nahmen diese Bücher einen wesentlichen Raum ein und konnten als Ausgangspunkt des eigenen Suchens gelten, so, wie es bei den gemalten Architekturen die «Blauen Bücher» gewesen waren. Oder für meine ungezählten Theaterdekorationen die Aufführungen im Basler Stadttheater. Auch diese Dekorationen beschäftigten mich durch Jahre hin; es war weniger die Tatsache, dass ein Stück aufgeführt werden konnte, als die Schaffung von Hintergründen und Seitenkulissen, die mich faszinierten. Ein kleines Theaterchen war durch meinen Grossvater Mieg hergestellt worden, mit einer einzigen Dekoration; für diese Szene malte ich dann all die folgenden Bilder.

 

Alles spielte sich im engsten Rahmen unserer Häuslichkeit ab. Selten, dass ein Aussenstehender Einblick in dies Geschehen nahm. Dabei kamen doch dann und wann Malergäste in unser Haus. Sie unterhielten sich aber in erster Linie mit meinen Eltern; mein eigenes Tun erfolgte für die andern nur am Rande. So ging das immer weiter. Ich malte, so wie ich komponierte, für mich, ohne den Wunsch, damit vor die Öffentlichkeit zu treten, aber auch ohne eigentlichen Widerhall. Es entsprach meiner unerzwungen leichten Lust am Hervorbringen. Es mochte auch vorkommen, dass ich gemeinsam mit meiner Mutter eine Landschaft festhielt, etwa den Blick über die Äcker beim Zopf gegen das Gexi, oder dass ich mit Margot Schwarz, meiner Nachbarin und Freundin im Haus hinter der Kirche, malte: auch sie übte die Aquarelltechnik, hie und da das Pastell. Auch bei ihr war von mütterlicher Vererbung zu reden, die sich auf sie wie auf den Bruder Boris übertragen hatte. Zudem war einer der südfranzösischen Verwandten ein subtiler Landschafter von hohem Rang.

 

Meine malerische Tätigkeit zog sich hin durch die Jahre des Studiums in Zürich, Basel und Paris. Es kam nicht von ungefähr, dass ich Kunstgeschichte studierte und dass meine Kollegienhefte mit Federzeichnungen nach den vorgeführten Diapositiven gefüllt wurden. Ich ahnte, dass man sich architektonische Formen am besten zeichnend einprägte; zudem hatte ich in Heinrich Wölfflin einen Meister, der uns sehen lehrte. Wer sah schon bewusst in den Kreisen der Studenten?! und wer konnte schon einen Strich zeichnen? Mir wurde damals bewusst, dass Kunsthistoriker obligatorisch Zeichenunterricht nehmen sollten. Zeichnerisch das architektonisch wesentliche Paris zu umreissen, war mir während des damaligen Sommersemesters, auch bei allen späteren Aufenthalten dort eine Aufgabe. Dass ich immer auch zeichnete, nicht nur malte, wussten die wenigsten. Und neben den Architektur- und Landschaftszeichnungen entstanden die vielen Karikaturen, von denen erst recht niemand wusste. Sie entsprachen einem angeborenen Vergnügen am Komischen und Grotesken, das wohl von meinem Vater auf mich gekommen war, denn er als Basler hatte ausgesprochenen, sogar einen hintergründig surrealen Witz, der sich in absurden Vergleichen kundtun konnte.

Die Karikaturzeichnungen erfolgten gleichsam schubweise, gemäss den Themen, die sich aus dem Erlebten boten. Die verrückten Amerikanerinnen bei Rumpelmayer in Paris, in den bekannten Teesalons, faszinierten mich so, dass ich ein ganzes Album damit füllte. Eine Folge von sporttreibenden Bärtigen schloss sich an. Die Idee war von meinem Neffen Hans Benedikt Knuchel ausgegangen, der einst unvermittelt sagte, ein «Sportfest für Bärtige» müsste eigentlich ein komisches Thema abgeben. Das war zu einer Zeit, als Bärte noch nicht Mode waren. Heute kann man des öftern Bärtige als Sportler sehen. Immerhin, wenn sie sich in meinen Karikaturen erblickten, würden ihnen vielleicht entweder Bart oder Sport verleiden.

Und dann kam Miss Marple, die Detektivin, dargestellt durch Margaret Rutherford mit dem siebenfachen Doppelkinn. Auch sie erfuhr massenweise zeichnerische Darstellung auf grünen und rosa Blättern. Florens Deuchler, der Redaktor der Festschrift zum 70. Geburtstag von Michael Stettler, erhielt einst Einblick in die schreckhafte Produktion. Er wählte einige dieser Zeichnungen aus, die am Schluss des an sich hochseriösen Bandes «Von Angesicht zu Angesicht» zusammen mit einer meiner Geschichten reproduziert wurden (1983). Eigentlich müssten diese Zeichnungen mit der Tintenfeder, mit den entsprechenden Nüancen von Hell und Dunkel, auch mit den lavierten Stellen als Farbzeichnungen reproduziert werden, was vielleicht dereinst nach hundert Jahren geschieht. Vorläufig schlafen all meine Zeichnungen hinter einer Dornröschenhecke.

 

Die Pariser Architekturzeichnungen hielten sich immer an das vor Augen stehende Thema. Ich fühlte einfach das Bedürfnis, diese oder jene Verhältnisse von Dach, Gesims, Mauerfläche, Sockel festzuhalten, einen Pfeiler, ein Gebälk zu zeichnen, eine Kuppel, namentlich die Bauten des Barock, der sich in Frankreich grundsätzlich von der Bewegtheit in germanischen Landen unterscheidet, vielmehr streng und gesammelt erscheint und jenen Charakter erhält, den wir als Klassik bezeichnen. Die französische Klassik, also die Baukunst des 17. Jahrhunderts, prägte mein ganzes Wesen, doch nicht so, dass das Spielerische, das immer vorhanden war, dadurch seine Unbeschwertheit eingebüsst hätte.

Ich hielt auch gotische Innenräume fest und wusste, dass die Schlankheit und Eleganz der Formen mir entsprachen. Die Feingliedrigkeit beispielsweise von St. Sévérin liess mich erkennen, dass ich nächste und tiefste Beziehung nur zur Kunst Frankreichs hatte, was sich durch all die Jahrzehnte hindurch bestätigte. Auch waren es die Farben Frankreichs, die mich bannten, das silberne Blau des Himmels, das ganz andere Grün der Bäume und Wiesen, der durch die Patina zum Schwarz gewordene Stein der Bauten.

Diese mich so ansprechenden Farben musste ich bei meinen Malereien aufleben lassen, auf eine völlig unreflektierte Weise, wie ich denn in meiner Darstellung Gedankliches nie anstrebte, und wie ich auch nie zur Diskussion über Kunstdinge fähig war. Ich blieb bei der Gegenständlichkeit. Wohl sah ich in Paris, und nicht nur dort, ungezählte Beispiele anderer Gestaltung, ging in viele Galerien, die bei meinen täglichen Gängen zum Louvre durch die Rue de Seine am Weg lagen. Es war das Gebiet der vielen kleinen Galerien. Die grossen auf der rive droite sah ich natürlich ebenso. Ich kannte auch viele Maler, kannte merkwürdigerweise vor allem Bildhauer, Arp, Lipchitz, Alberto Giacometti. Es waren eher Zufallsbekanntschaften. Die Maler, deren Kunst mich am meisten gefesselt hatte, kannte ich nicht, suchte sie auch nicht zu kennen, wohl aus dem Wissen, dass ein persönlicher Kontakt nur in den seltensten Fällen fruchtbar werden konnte.

 

In die Schweiz zurückgekehrt, hatte ich meine Studien abzuschliessen und mich während mehrerer Basler Jahre als Kunstreferent, vor allem der Basler Nachrichten, zu betätigen, was mir die Begegnung mit unendlich vielen Hervorbringungen auf dem Gebiet von Malerei, Bildhauerei, Graphik, auch sehr viele persönliche Verbindungen mit Künstlern ermöglichte. Ich sah in vielen Galerien Werke höchsten Ranges. Da muss ich in erster Linie die Galerie von Willi Raeber erwähnen, der nur Dinge von ausserordentlicher Qualität bot. Ein Interieur von Valloton sah ich durch Jahre hindurch, eine hervorragende Komposition, von der mir immer schleierhaft blieb, dass sie nicht längst in ein Museum gelangt war, wo sie hingehörte. Ich sah dort auch die Bilder von Irène Zurkinden, die später regelmässig in der Galerie Schulthess gezeigt wurden. Bei Bettie Thommen wechselten anregende Ausstellungen. Meine Vorliebe aber galt einem Pastell von Maurice Barraud, das in einem ihrer Privatgemächer hing.

Ich lernte auch den eigenwilligen Gerold Veraguth kennen. Die Maler, mit denen mich engste Freundschaft verband, waren Marguerite Ammann und Franz Max Herzog. Mit beiden wurde oft gemeinsam gemalt, wobei diese Fahrten immer Episoden voll toller Einfälle waren, begleitet von unbändigem Gelächter. Nicht selten geschah es, dass wir zu dreien auszumachen suchten, wer das geschupfteste Huhn sei. Wir unterhielten uns in einem Jargon, der nur gerade uns verständlich war. Eine gegenseitige Beeinflussung fand nicht statt, formale Dinge freilich wurden bis in alle Einzelheiten erörtert, und Kritik nahmen wir gegenseitig immer an. Alle drei, Marguerite Ammann, Franz Max Herzog und ich waren in unsern künstlerischen Äusserungen denkbar verschieden. Dabei stand nur für Marguerite Ammann eindeutig fest, dass sie Malerin sei und nur Malerin. Franz Max Herzog befand sich damals, zu Beginn der dreissiger Jahre, noch ganz im Bann seiner Doppelbegabung, schrieb an seinen Romanen und Novellen. Die Malerei nahm noch längst nicht die Stellung ein wie in seinen späteren Jahren. Bei mir selber hatte sie den Rang des Vergnügens.

Bei Marguerite Ammann wie bei Franz Max Herzog machte die Darstellung im Lauf der Jahre starke Wandlungen durch. Die träumerisch lyrischen Landschaften mit ihren figürlich erzählerischen Handlungen wichen einem Wunsch nach strenger Form, nach Abstraktion, welcher Wechsel der Malerin viel zu schaffen gab, auch in dem Sinn, dass die Liebhaber ihrer subtilen Malerei die linear betonten Kompositionen selten so hoch schätzten wie die früheren Arbeiten. Franz Max Herzog, im Erfinden neuer Materialien unerschöpflich, gelangte mit dem Malen in Verbindung mit Collagen zu starkem Ausdruck; selten gab er sich mit der Schriftstellerei ab, sondern konzentrierte sich auf die Komposition des Bildes mit oft fast tastbarer Oberfläche und wandte sich ganz vom Gegenstand ab. Meine eigenen Dinge, die mit dem Gegenstand immer in naher Verbindung blieben, beurteilte er nach rein formalen Gesichtspunkten.

 

Am unbeschwertesten für alle drei Malerfreunde waren vielleicht doch jene dreissiger Jahre gewesen, da alle gemeinsam zu ihren Fahrten auszogen, in den Tessin, an den Genfersee, an den Neuenburgersee, nach Paris oder auch nur in die Umgebung von Basel und Lenzburg. Eine Landschaft aus Estavayer habe ich neulich ausgegraben, mit dem Blick vom Landesteg über den grünen See. Da musste ich an die glückliche Zeit denken und das Gelächter, das wegen einer nichtigen Kleinigkeit ausbrechen konnte, deren Bedeutung aber zur surrealen Geschichte ausgesponnen wurde. Nur am Thunersee, wo Franz Max Herzog mit seiner Mutter monatelang in Spiez wohnte, fehlte die Malerin. So malten nur er und ich, und es war der Vorwurf des Springbrunnens, dem wir auf einem Bild von Marguerite Frey-Surbek begegnet waren. Wir hatten es am Vorabend bei Hugo Marti in Bern gesehen und wollten es nun der könnerischen Malerin gleichtun, wandelten also wie wild das nämliche Thema ab, das zu zwei in den Mitteln sehr verschiedenen Fassungen führte. Sie sind mir täglich vor Augen. Franz Max Herzog brauchte nach eigenen Rezepten angewandte Wasserfarben; es waren eigentlich Gouachen auf Karton, doch verfuhr er damals schon sehr frei, nahm als Bindemittel statt des Wassers etwa Öl, auch Zahnpasta, indes ich bei der reinen Wasserfarbentechnik blieb. Ich hatte mehrere Farbschachteln mit Näpfchen, brauchte nie Farben in Tuben, die mich nur ärgerten. Diese Farbschachteln waren Nachfolgerinnen jener frühen, die mein Vater von einer seiner Reisen nach Paris mitgebracht hatte und deren viele Näpfchen mit den reichen Nüancen mich entzückten.

 

Jene Basler dreissiger Jahre, die Jahre des Krieges und die folgenden, während deren ich mit den Basler Galerien immer in Verbindung blieb, auch die wesentlichen Ausstellungen der Kunstinstitute von Zürich, Winterthur, Bern, Genf, Lausanne, Luzern aufsuchte, vermittelten Einblicke in alles Kunstgeschehen, nicht nur das schweizerische, und ich hatte, sowohl als Berichterstatter wie als privater Maler, die Tendenzen zu verfolgen. In Lenzburg, wo ich seit 1938 wieder wohnte, war ich in Verbindung mit dem mir verwandten Bildhauer Arnold Hünerwadel, mit den Malerinnen Margrit Haemmerli und Ursula Fischer-Klemm, die beide mein Porträt malten, mit Peter Hächler, der meinen Kopf formte, noch im formalen Bann seiner Lehrmeisterin Germaine Richier, in deren Pariser Atelier ich einige Male weilte. Sie hatte ebenfalls vor, mein Porträt zu machen. Es war eines ihrer unausgeführten Vorhaben.

In Lenzburg war ich auch des öftern zusammen mit einem der vier Maler aus Bern, die dort in energischer Weise eine Änderung der Kunst herbeiführen wollten. Tonio Ciolina, Hans Seiler, Max von Mühlenen und Lindegger, genannt Lindi, waren die vier, die die Gruppe «Der Schritt weiter» gründeten und Neuland suchten. Ciolina, geistig ungemein beweglich, voller Einfälle, gewandt als Wortführer, setzt mir seine Wünsche nach Neuerung auseinander. Er wollte, wie seine Kameraden, die ausgetretenen Wege der Gegenständlichkeit meiden, alles Schweizerische und sein Spinatgrün hinter sich lassen, was ihm auch gelang, da er sehr viel auf Reisen war. Seine Arbeiten zählen mit denen von Mühlenen und Seiler längst zu den qualitätsvollen Zeugen einer gewissen Zeitspanne.

Ich suchte in ein paar Beispielen den von Ciolina eingeschlagenen Weg in meine Wasserfarbentechnik zu übertragen, doch waren es wirklich nur Versuche, die mich nicht befriedigten. Es waren Versuche, ähnlich in ihrer Art wie die Kompositionen im Stil von Matisse, die ich nach der Begegnung mit seiner überragenden Kunst in der Basler Kunsthalle malte. Die Matisse-Ausstellung 1931 galt als eine der ganz grossen künstlerischen Erfahrungen; sie hatte nicht nur für mich besondere Bedeutung, sondern für Basel, für das ganze Land. Sie war durch Auswahl und Darbietung ausserordentlich und weckte durch die Vereinfachung der Form, durch die Umsetzung der Farbe den Wunsch, einen ähnlichen Weg in meiner Wasserfarbentechnik zu begehen. Das war in gewissem Sinn möglich; vielleicht können die vielen Stilleben, die Interieurs und Fensterausblicke als Wunsch hingenommen werden, die Gegenständlichkeit nach der Art von Matisse zu verwandeln. Denn ich hatte mich bis jetzt in meiner Malerei mehr oder minder an den Gegenstand gehalten, hatte Blumen oder Früchte vor Augen, liess mich von ihrer Form anregen, war auch von der Stimmung in einer Landschaft angetan, so dass ich sie mit meinen Wasserfarben festhielt.

 

Die zahlreichen Arbeiten des Matisse-Jahres lassen die Kompositionen, die Vereinfachung der Umrisse und deren Verdeutlichung durch die dunkle Linie durchaus als Anklang an die Erfindungen des Meisters erkennen. Mehrere dieser Stücke, die ich nie nach einem Gegenstand, sondern stets frei, oft nach einer zeichnerischen Kompositionsskizze malte, entstanden entweder auf dem gewohnten Zeichenpapier, das ich seit Jahren verwendete (ich konnte das gekörnte Aquarellpapier nie ausstehen), oder dann auf unbedrucktem Makulaturpapier. Ich besass einige Goldrahmen von solchem Ausmass, dass Zeichenpapiere nicht ausreichten. Das Zeitungspapier bildet einen angenehm weichen Malgrund, doch ist die Saugkraft so gross, dass man mit ihr und der Veränderung der Farben rechnen muss.

Die Wirkung der Farbe überhaupt: Die Ölfarbe unterscheidet sich grundsätzlich von der Wasserfarbe. Die transparente Leuchtkraft der Wasserfarbe wird von der Ölfarbe nie erreicht, die immer schwerer ist, auch wenn man sie lasierend aufträgt. Von der Verschiedenheit der beiden Techniken handelten ellenlange Gespräche zwischen Louis Moilliet und mir. Auf diesen Meister des Aquarells komme ich noch zurück: Er war es ja, der sich als erster und auf lange Zeit einziger mit meiner Malerei auseinandersetzte und in ihr etwas anderes sah als eine spielerische Beschäftigung. Dass er selber die Ölfarbe und ihre Technik verliess und sich auf die Aquarelltechnik umstellte, mit der allein er das Licht des Südens verwirklichen zu können glaubte, mag den Unterschied der Techniken deutlich machen. Das südliche Licht fasste er nie im Sinn des Impressionismus auf.

Mit seiner Malerei hatte ich mich schon befasst, als ich mit Zustimmung meines Lehrers Konrad Escher auf der Universität Zürich eine Dissertation über neuere Aquarellmalerei in der Schweiz zu schreiben begonnen hatte. Unter den drei Malern, die ich heranzog, fand sich Moilliet, und für eine gewisse Zeit hatte ich eine ganze Folge seiner auf Karton aufgezogenen Blätter um mich. Ich hatte freie Wahl, konnte vor allem im Schloss Bremgarten bei Bern, wo sich eine ganze Sammlung seiner Werke befand, eine Auswahl treffen. Dass die wunderbare Transparenz seiner südlichen Landschaften Einfluss auf meine eigenen Sachen hatte, kann ich nicht finden; ich kannte ja jene Gegenden, die er immer erneut aufsuchte, Afrika und Spanien, nicht aus eigener Anschauung.

 

Noch während ich mit der Festlegung meines Textes beschäftigt war, sah ich im Jahr 1932 in Zürich jene Ausstellung Bonnard/Vuillard, die von allen Ausstellungen, die ich gesehen hatte, mich am meisten bewegte. Namentlich Bonnard traf mich in meinem ganzen Wesen, denn da war das französische Licht, waren die Farben Frankreichs, die die meinen waren, auf eine ganz freie und lockere Weise gemalt, auf eine gleicherweise unerzwungene, phantasievolle und unorthodoxe Art, die mich im innersten traf. Alles war da wolkig unbestimmt und doch vorhanden, und in den gesuchtesten und scheinbar widersprüchlichsten Farbwerten vergegenwärtigt. Unglaublich war, wie Bonnard einen korallenroten Streifen in einem grauen Himmel einfügte, wie er das französische Blaugrün anwandte, vor allem, wie er alle Stufen von Weiss abwandelte. Glaubte man, es handle sich um Weiss, dann waren es völlig andere Töne, gelbliche, rötliche, bläuliche, perlmuttern schimmernde, nur sicher nie reines Weiss.

Ich konnte mich nicht sattsehen an diesen Wundern einer weichen wattigen Malerei, von der ich wusste, dass sie niemals formlos sei. Von Bonnard stammt der Satz «Tout a une forme, même la fumée». Auch Vuillard bannte mich mit seinen gewagten Interieurs, in denen der Blick durch viele Spiegel geführt wurde, wodurch eine weissliche Lampe dreimal, zudem irgendwo noch ein farbiger Lampenschirm erschienen, ausserdem waren die Figuren mit äusserstem Raffinement in den Raum gesetzt, vielleicht ganz unten am Bildrand, und zuletzt gewahrte man in der gespiegelten Zimmertiefe noch eine weitere Gestalt.

Die Frage der Komposition war bei Bonnard wie bei Vuillard auf eine sehr eigenwillige Art gelöst, immer überraschend, doch niemals gesucht. Jedenfalls entsprach mir ihre Malerei auch in dieser Hinsicht, und beide bewiesen mit ihrer Kunst, dass die Gegenständlichkeit nicht um jeden Preis aufzugeben sei: Sie war nur stark verwandelt, in der Richtung einer poetischen neuen Wirklichkeit. Im übrigen glaube ich, dass sich weder Bonnard noch Vuillard mit den Problemen grundsätzlich neuer Gestaltung auf intellektuelle Art auseinandergesetzt haben. Sie malten einfach, malten so, dass sie ihr Eigenstes in der Malerei ausdrücken konnten. Der auf Cézanne zurückgehende Kubismus hatte formale Umschichtungen entweder vorher oder auch gleichzeitig bei einer neuen Generation ausgelöst. Von Bonnard und Vuillard ist eher zu sagen, dass sie ihre Wurzeln in der dekorativen Flächigkeit des Art Nouveau hatten und sich darin dem Impressionismus entgegen stellten. Vuillard war als Maler nach der Jahrhundertwende im ganzen wohl kühner als später; Bonnard trieb die Auflösung der Formen zur gewagten neuen spielerischen, manchmal bestürzenden Farbigkeit immer weiter.

 

Ich war vor allem durch Bonnard so tief beeindruckt, dass ich mit meinen Wasserfarben im Sinn seiner Kunst malen musste. Sicherlich klingt Bonnard an, namentlich im Jahr 1932. Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich jene in seinem Geist gemalten Blumenstücke und Interieurs für Arbeiten halte, die ich zu den besten zähle. Das ist natürlich sehr subjektiv gesprochen. Ich hänge aber derart an den Bildern aus jenem Jahr, dass ich sie immer bei mir zu behalten wünschte. Es sind Bilder, in denen die Farbe frei und licht schwingt, innerhalb einer Komposition, die leicht und selbstverständlich scheint und doch nicht zufällig ist.

 

In diesem Jahr 32 und den folgenden malte ich viel, thematisch nichts Neues, sondern vor allem Blumen, auch Landschaften. Ich malte Blumen, weil ich zu ihnen immer nahe Beziehung hatte, weil ich ihr Blühen liebte, ihre Farben, weil mich Sträusse beglückten, so, dass ich sie einfach malen musste. Es kam verhältnismässig selten vor, dass ich sie selber zusammenstellte. Meist war es meine Mutter, die sie arrangierte, und zwar hatte sie eine Vorliebe für eine weisse Empirevase mit schwarzen Henkeln, die stets auf dem runden Salontisch stand, und für die sie Sträusse mit sicherer Hand komponierte.

Diese weisse Vase kehrt denn auf vielen meiner Bilder wieder. Zu dem Weiss setzte ich weitere helle Töne in Beziehung, helles Gelb, helles Rosa, Türkisgrün, auch Blautöne: Sie erstanden durchwegs in dünnem Auftrag, der mit dem Papiergrund zusammenspielte. Es war ja das reine Aquarell, jene Technik, die Farbe und Grund zu gemeinsamer Wirkung verbindet. Schwer zu entscheiden, wie stark der helle Grund mitwirkt: bei der einen Farbe mehr, bei der andern weniger. Jedenfalls war es immer so, dass ich eine Farbe auswusch oder aufhellte, wenn sie den Papiergrund völlig deckte und dadurch stumpf wurde. Sehr bald wurde ich mir bewusst, dass der helle Papiergrund, der nicht rein weiss war, sondern hell gelblich, dadurch zur Wirkung eines kalkig reinen Weiss gebracht werden konnte, dass er in einem ganz bestimmten Verhältnis zu den umgebenden Farben stand. Das Weiss dieser Empirevase konnte als reines Weiss wirken, wenn es neben völlig fremden Tönen auftrat oder wenn die Henkel tiefschwarz gemalt waren. Dies tiefe Schwarz war indessen auch nur ein relatives Schwarz, das schwarz wirkte, doch vielleicht zusammengesetzt war aus Flaschengrün, Carmin und Blau. Öfter auch brauchte ich reines Schwarz, das ich immer in der Reihe meiner Näpfchen hatte, doch mit Vorsicht und im Wissen, dass reines Schwarz, sparsam verwendet, von bestechender Wirkung sein konnte.

 

Es waren im ganzen lichte Bilder, getragen von der Freude am schönen Dasein der Dinge, die vor mir standen, immer erneut Blumen, immer erneut Früchte, alles durchsichtig und schwerelos und mit einem Blick auf Frankreich und seine Malerei. Von der gleichzeitigen schweizerischen oder deutschen war ich denkbar weit entfernt. Frankreich, das Licht in Frankreich und seine Farben waren eben das grosse Erlebnis gewesen, das ich dann in den Bildern von Bonnard auf eine gültige Art für mich bestätigt sah. Meine Bilder aus jenen Jahren, gemalt meist in Lenzburg, auch wenn ich unterwegs war, etwa in Paris, im Midi, in Holland, an unseren Seen (nie in den Bergen, die ich niemals malen konnte), waren in den immer gleichen Formaten gehalten: zwei Grössen von Blocks liess ich herstellen mit dem mir zusagenden Zeichenpapier, dessen glatte Seite meinen Malgrund bildete. Und beide Grössen habe ich bis heute beibehalten, seit längerer Zeit aber noch weitere, grössere Formate dazugenommen. Es ist in gewissem Sinn ein Grössen-Kanon, der sich durch die Jahrzehnte verfolgen lässt, wohl ein Ausdruck konservativer Haltung. Bei Bonnard beispielsweise wechseln die Formate auf geradezu abenteuerliche Art. Aber ich bin ja nicht Bonnard, sondern der unprofessionelle PM, der immer für sich gemalt hat, bis zu dem Tag, da Louis Moilliet meine Arbeiten sah.

Ich war mit ihm in Luzern gewesen, hatte seine neuen Glasfenster in der Lukaskirche besehen und war mit ihm im offenen Wagen durchs Seetal nach Lenzburg gefahren (er war ein etwas draufgängerischer Autofahrer, der diebische Freude an schnellem Fahren hatte). Bei uns sah er meine gerahmten und ungerahmten Bilder durch, alles, was ich hervorholen konnte. Und da gab er seiner Überraschung und seiner Freude an meiner Malerei derart starken Ausdruck, dass ich beschämt hätte danebenstehen müssen, wenn ich mich nicht selber ehrlich über sein durchaus positives Urteil gefreut hätte. Es war das erste Mal, dass ein Professioneller, den ich zudem tief bewunderte, über meine Malerei als etwas Professionelles sprach.

 

Ich habe, nach seinem Besuch, seine Worte aufgezeichnet. Ich setze sie nicht hierher. Es waren gute Worte, von einem Meister gesprochen, der wie keiner das Métier der Wasserfarbenmalerei beherrschte. Er hatte auch nicht den mindesten Grund, vor mir das Blaue vom Himmel herunter zu reden, er war weder mir verpflichtet, noch war ich es ihm gegenüber. Es war einfach die sachliche Beurteilung einer jahrelangen Arbeit, die bisher von keinem Fachmann bewertet worden war. Moilliets Urteil gab ich niemandem bekannt, das war nicht Usance bei uns, höchstens dass ich den Eltern mitgeteilt hatte, er habe Freude gezeigt.

So konnte ich denn weitermalen und mir zur Freude jene Blumen und Früchte zu Papier bringen, die ich nur gerade zu jener Zeit so malen konnte. Doch der Mensch ändert sich: Wenn ich heute in jener Art malen wollte, in dem flaumig-flockigen Farbauftrag, in den schwebend leisen Akkorden: ich könnte es nicht mehr.

Moilliet legte besonderes Gewicht auf die Blumen und die Früchte und sagte (dies das einzige, was ich da preisgebe), sie enthielten die Seele der Blumen und der Früchte. Ein Porträt hob er ebenfalls hervor, jenes Bild, das ich von Marguerite Remund im Eckzimmer des ersten Stockes in der Mittlern Mühle gemalt hatte, ausgehend von der gelben Jacke, die sie damals trug, und von der blauen Tocque. Diese beiden Kleidungsstücke, auch die weisse karierte Jupe waren malerisch farblich das, was mich fesselte. Dazu kam das Gespräch mit der ungewöhnlichen, gescheiten, anregenden Frau, die ich in lesender Haltung gemalt habe. Unter jenen Bildern der dreissiger Jahre gibt es weitere Figurenstücke, Szenen im Raum, ungewollt unkonventionell in der Komposition, dennoch komponiert, doch locker, oder weitere porträthafte Stücke, die durchgehend helltonig sind, innerhalb der hellen Tonigkeit der Kontraste aber nicht entbehren.

 

Nach dem Besuch von Moilliet, der sich im Laufe der Jahre wiederholte, und auf den ich mit mehreren Besuchen bei ihm in La Tour-de-Peilz antwortete, wo er mit Kay Oederlin bis zu seinem Tod lebte, in einer für ihn nur provisorischen Wohnstätte (er suchte während Dezennien ein im entsprechendes Atelier), folgten noch viele Besuche anderer Maler, unter ihnen Rudolf Zender und Gunter Böhmer mit seiner Frau Ursula, bei welchen Anlässen meine Arbeiten begutachtet wurden. Vielfach fand dies beim Anlass der Künstler-Einladungen durch die Stadt Lenzburg statt, deren erste 1946 Ernst Morgenthaler galt. Eugène Martin, Niklaus Stoecklin, Reinhold Kündig, Marguerite Ammann, Victor Surbek, Leonhard Meisser, Roland Guignard, Wilhelm Dietschi (Ureinwohner) waren einige der Schweizer Maler, die hier zu Gast waren. Die persönlichen Kontakte erlaubten unmittelbaren Einblick in ihr Schaffen. Dass sich zwischen Marguerite Ammann, Franz Max Herzog und mir ein dauerndes Gespräch über unsere Produktion durch all die Jahre unserer Freundschaft hinzog, habe ich schon bemerkt, ein fachliches Gespräch, das natürlich mehr oder minder durch unsere Stimmungen und den Grad unserer Verstiegenheiten gefärbt war.

 

Die Beurteilung meiner Arbeiten durch Louis Moilliet behielt stets den Rang des Ausserordentlichen. Immer kommt es noch vor, dass ich ihn vor Kunstfreunden charakterisieren muss. Es ist wahr, dass sein Ruhm innerhalb eines Clans, eines Geheimbunds am stetesten ist. Um Ausstellungen, um seine Publizität hat er sich nie sehr gekümmert. Er brauchte sie nicht, im Wissen, dass eine Reihe von erlesenen Kennern auf seine Bilder warteten und sie sammelten. Max Wassmer im Schloss Bremgarten gehörte zu ihnen, auch Maja Sacher, deren Moilliet-Bilder von höchster Qualität ich bei ihr des öftern beschaute, und mit ihnen eine kleine hermetische Schar von Bewunderern. Hie und da kommt es noch vor, dass ich erklären muss, die legendäre Tunisreise im Jahr 1914 mit Klee und Macke hätte ohne Moilliet nicht stattgefunden; denn er war es, der die beiden jungen deutschen Maler hinführte, da er Land, Licht und Farben bereits kannte. Und dass ich erzählen muss, Moilliet sei mit Hermann Hesse sehr nah befreundet gewesen und geistere als «Louis der Grausame» durch Romane und Novellen: in «Klingsors letztem Sommer» tritt er auf und in der «Morgenlandfahrt», und ein Gedicht kennzeichnet den Maler in seiner ganzen Eigenwilligkeit.

Das Thema Louis ist nie beendet. Für mich und meine malerische Arbeit war er eine Schlüsselfigur. Dass es mir besondere Freude machte, als er auf meiner ersten Ausstellung in Lenzburg eine kleine Landschaft erwarb, muss ich wohl nicht eigens betonen. Diese erste Ausstellung: sie kam zustande, weil die schon anberaumte Darbietung mit Bildern von Franz Max Herzog abgesagt werden musste. Der Maler, mein nächster Freund seit 1934, als er aus Stuttgart nach Basel zurückgekehrt war, war in Luzern plötzlich mit fünfzig Jahren verstorben. Josef Raeber, der den Mut gehabt hatte, in Lenzburg als erster eine Galerie zu eröffnen, im ersten Stock des ehemaligen Amtshauses, wo sie sich noch immer befindet, fand grossen Gefallen an den Bildern von Franz Max Herzog und wollte sie den Aargauern zeigen (Herzog war ja Aargauer, auch wenn er in Basel aufgewachsen war).

Da Josef Raeber mich kannte, sogar meine Bilder, fragte er mich an, ob ich in die Lücke springen würde. Meine Malerei in grösserem Rahmen zu zeigen, wäre mir nie eingefallen. Ich wusste um die Unnachsichtigkeit der Menschen, die sofort bereit waren zu sagen: Er mag ein passabler Komponist sein, aber malen sollte er nicht auch noch. Und vice versa. Ich hätte mich weiter auf die Musik beschränkt, im Wissen, dass sie eine überaus delikate Kunst ist, und dass es keine schwierigere Menschensorte als die Musiker gibt. Ich kenne beide Sorten, Musiker und Maler und darüberhinaus noch weitere Sorten.

Die Anfrage von Josef Raeber war nicht gerade das, worauf ich gewartet hatte. Immerhin, ich sagte zu unter der Voraussetzung, dass er die Verantwortung auf sich nehme. Das muss ein Galerieleiter natürlich immer, aber ich wollte mich, wohl mehr vor mir selber, expressis verbis absichern. Ich fand es ein tollkühnes Unterfangen. Meine Bilder aber fanden in jener ersten Ausstellung des Jahres 1961 mehrere Freunde, und das Ergebnis war so, dass der Galeriemann mir sagte, das sei ein Zeichen, dass ich mich nun an die Malerei setzen müsse. Die Musik konnte ich nicht aufgeben, vor allem auch deswegen nicht, weil etliche Aufträge vorlagen, unter andern jener von Pro Helvetia für das Klavierkonzert Nr. 2, das 1962 in Lausanne uraufgeführt wurde.

Lausanne: dort hatte in der kleinen Galerie Foetsch schon früher eine Ausstellung stattgefunden mit wenigen Arbeiten, aber vielleicht den atypischsten: Es waren Kompositionen, in denen ich einen Weg nach der Abstraktion versuchte. Die Ausstellung fand wenig Widerhall. Und eine Ausstellung gemeinsam mit zwei Basler Malern, Marguerite Ammann und Franz Max Herzog, weiter mit Righini, Augusto Giacometti, Serge Brignoni, Albert Kohler war 1939 in der Kunsthalle Basel veranstaltet worden, doch fiel sie in die Tage des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges, ging also im aufgewühlten Geschehen jener Zeit unter. Die Folge meiner Bilder hatte der damalige Konservator Lucas Lichtenhan hier ausgewählt, sich auf die Ausstellung freuend. Jene Bilder gehörten zu den hellen, weichen, zarten und ergaben eine Einheit. Sie gehörten zu jenen, wie ich sie gern nochmals malen würde und es nicht mehr kann. Nicht, dass ich willentlich jene Darstellungsweise verliess. Die Zeit, da ich mit Willen eine neue Ausdrucksweise suchte, sie aber mir nie entsprechend fand, war vorbei. Ich malte also weiter das, was mich thematisch bewegte, was für mich malenswert war und was ich auf meine Art umsetzen konnte: Blumen, Früchte, Landschaften, Interieurs, seltener Figürliches.

 

Im Lauf nun fast eines Vierteljahrhunderts wandelten sich meine Farben und Formen. Ich empfand das Bedürfnis, dichter und satter zu malen, deutlicher zu sein in den Umrissen. Die mir entsprechende Dichte ergab sich in vielen Fällen durch Brechung der Töne mit Weiss oder Grau. Ebenso oft wurde eine Farbe unvermischt hingesetzt, vielleicht in zwei- oder dreimaligem, auch vier- oder fünfmaligem Auftrag, bis mir die richtige Dichte erreicht schien. Die ungemischten wie die gemischten Farben (es gibt hin und wieder Stellen in einem Bild, die als rein aquarellistisch anzusprechen sind) müssen immer mit dem Papierton zusammenspielen. Von der Zeit an, da ich gemischte und deckende Farben verwandte, bezeichnete ich die Bilder nicht mehr als reine Aquarelle, sondern als Gouachen. Gouache bedeutet Wasserfarbenmalerei mit deckenden Farben.

 

Der Auftrag der Farbe, der einmal dünn und verlaufend erfolgt, ein andermal satt, hat sich der Bildkomposition unterzuordnen; diese steht in der Vorstellung fest, bevor ich mit dem Malen beginne. Vor sehr langer Zeit hielt ich die Komposition mit Bleistift fest. Jetzt, wenn ich überhaupt etwas festlege, geschieht dies mit dem Pinsel in irgendeinem hellen Ton, wobei ich nicht von oben nach unten komponiere, sondern von unten nach oben; ein völlig unorthodoxes Verfahren. Nur die Hauptformen von Gefäss und Blumen oder Früchten werden fixiert, auch die wesentlichen Richtungen, die oft schon in breiten heftigen Pinselzügen anklingen. All dies Andeutende verschwindet nachher unter der Malerei, die freilich nie kleinlich wirken soll, auch wenn bestimmte Teile des Bildes mit Sorgfalt durchgemalt sind.

Ein allgültiges Rezept könnte ich niemals abgeben. Jedes Bild ist vom Augenblick der spannungsvollen Beziehung zwischen Maler und Objekt geprägt, von der Stimmung getragen. Es entsteht gewissermassen auf Anhieb. Was nicht heisst, dass es nach einmaliger Sitzung beendet sei. Im Gegenteil, ich arbeite oft am Tag danach, an einer Folge von Tagen, von Wochen, von Monaten daran, auf eine Weise, die vom Aussenstehenden kaum nachvollzogen werden kann. Mir selber bleiben solch oft sehr detailhafte Veränderungen bewusst; höchstens sehr genaue Kenner wie ein Malschüler weiss auf einen kleinen veränderten Farbfleck, eine veränderte Form hinzuweisen.

 

Alle Stilleben male ich seit sehr vielen Jahren bei künstlichem Licht, und zwar in einer engen Ecke meines Korridors. Wenn Besucher mein Atelier zu sehen wünschen und ich ihnen nur diese bescheidene Ecke zeige, sind sie meist ebenso überrascht wie enttäuscht. Es ist reine Gewöhnung. Seit ich inne wurde, dass ich in dieser Ecke, zu Musikbegleitung von einer Schallplatte (ganz barbarisch für einen Musiker), am konzentriertesten male, habe ich sie nicht mehr verlassen.

Vor wechselnden Farbgründen, einfarbigen oder bedruckten Papieren von verschiedenster Beschaffenheit, von Seidenpapieren zu derben Packpapieren, vor auseinandergefalteten Flaschenhüllen (die oft sehr dekorative Ornamentierung aufweisen) entstehen diese Stücke, die ich bei Tageslicht überarbeite. Dabei ist zu sagen, dass die Gouache Korrekturen aus rein technischen Gründen nur bis zu einem bestimmten Grad erträgt. Immerhin ändere ich so lange an einem Bild, bis ich es vor mir verantworten kann. Hier muss ich sagen, dass im Lauf der Jahre meine Selbstkritik dauernd fordernder geworden ist. Das Malen fällt mir nicht leichter, sondern schwerer, und wenn man annimmt, das Handwerkliche müsste nun keine Rolle mehr spielen, so ist das ein Irrtum. Jedes Bild fordert den ganzen Einsatz. Genau so ist es in meiner Musik: Jedes Stück tritt nach einem bestimmten Plan an und will nach ihm erfüllt sein. Der Plan und das handwerkliche Vorgehen dürfen für den Hörer und Beschauer keine Rolle spielen. Nur das Kunstwerk in seiner gerundeten Einheitlichkeit zählt.

 

Bisweilen bin ich gefragt worden, ob ich zwischen den beiden künstlerischen Äusserungsarten eine Verbindung sähe. Immer habe ich dies verneint. Vielleicht am deutlichsten tritt der Unterschied darin zutage, dass ich Musik meist auf einen ganz greifbaren Auftrag hin schreibe, der Malerei aber nur huldige, wenn mich ein Bouquet durch seine Form und Farben und die Fülle seines Blühens und seinen Duft besticht, mich einfach zur malerischen Darstellung zwingt. Wenn da ein Mimosenstrauss aus Cannes eintrifft, mittags geschnitten und gegen Abend hier, mit dem wunderbaren Parfüm der goldenen Kugeln, dann muss er malerisch umgesetzt werden. Es können aber auch Päonien aus dem eigenen Garten sein, heller, dunkler, weisser Flieder, gelbe und weisse Jonquillen, gelbe Tulpen, sie alle sind gemalt worden, und ich muss den Kennern meiner Bilder nicht den ganzen Gartenkatalog vorführen, er ist ihnen bekannt.

Das Gleiche gilt von den Früchten. Alljährlich bekomme ich von der Seonerstrasse die herrlichsten Pfirsiche, den schönsten Rittersporn, vom Lindfeld den Gartenmohn oder Johannisbeeren, alle Blumen des Jahres aus dem Garten von Dietikon. Ich erhalte dann und wann auch Dinge, die mir im ersten Augenblick kaum malbar erscheinen. Dann sticht mich ein gewisser Berufsstolz, und ich mache mich an das Unmalbare. Edelweiss allerdings habe ich noch nie gemalt, werde es auch nicht. Alpenrosen, so verrückt das ist, habe ich indessen schon gemalt. Selten sind Blumen mit der Verpflichtung zu mir gekommen, sie zu porträtieren.

 

Die Frage eines Bildauftrages freilich ist vielfach erörtert worden, und hier muss ich sagen, dass ich ihm nicht ausweiche, vielmehr einen Anreiz darin sehe. Porträts habe ich schon gemalt, was in dieser Technik besonders schwierig ist. Dann war im Haus von Rudolf Schüpbach in Baden eine Schiebetür, die Verena gern beidseitig bemalt gesehen hätte. Da zu jener Zeit die unvergleichliche Inszenierung von Goldonis «Servitore di due padroni» durch Giorgio Strehler durch ganz Europa Furore machte, mit Recht, suchte ich auf die Panneaux der einen Seite Szenen aus diesem Stück zu bannen, auf die andern rundbogig geschlossene Nischen, in denen Etagèren mit Früchten stehen. Ein anderer Auftrag betraf zwei Panneaux ebenfalls über Theaterthemen für den Theatermann Peter Hauser. In beiden Fällen war es für mich das reine Vergnügen, diesen Aufträgen zu willfahren.

Der dritte hatte seine milden Tücken, denn er war an unser aller Schloss Lenzburg gebunden, das wir ja in seinen sämtlichen Metamorphosen vor Augen haben, zu sehr vor Augen, meine ich, als dass ich es noch neu und unbefangen sehen und darstellen könnte. Ich musste mir Mut zureden und sagen, dass auch Louis Moilliet mehrere Fassungen davon gemalt hatte. Aber er war ja nur Gast hier. Nicht Anwohner und von einem Dauerkran wie einem Galgen Bedrohter. Immerhin, Friedrich Eich machte mir die Sache so mundgerecht, dass ich Schloss Lenzburg zu allen Jahreszeiten malte, von meinem Garten, meiner Terrasse gesehen, von Osten, von Norden. Freilich malte ich es nur mit der Patina von ein paar Jahrhunderten. Ich habe noch vor, den weissgezuckerten Rittersaal vor weissem Winterhimmel zu malen und damit vielleicht eine hingehauchte japanische Skizze zu geben, habe mich aber noch nicht dazu gebracht. Das Weiss vor weisser Nebelwand dürfte wohl auch ein Sujet sein?

 

Dem unermüdlichen Findergeist von Friedrich Eich war dann auch die Idee zu danken, die Folge von Schlossbildern durch eine Schlossbildermusik zu ergänzen. Die Lenzburger wissen, dass diese Idee verwirklicht wurde, dass ich erstens figürliche Szenen im Geschmack mehrerer Jahrhunderte malte und dazu eine Musik schrieb, die all diese Szenen nicht untermalte, sondern gewissermassen symbolisierte. Die Uraufführung im Rittersaal durch das Zürcher Kammerorchester und Edmond de Stoutz bot alle Gewähr für eine belebte Wiedergabe. Eine Reihe der Schlossbilder war zudem zu sehen.

Nicht nur in diesem Fall wurden meine malerischen Arbeiten gleichzeitig mit jenen aus dem Musikgebiet geboten. Unter mehreren Beispielen möchte ich eine Veranstaltung im Bad Ragaz erwähnen und eine grössere Ausstellung bei Radio Paris, wo im Zusammenhang mit einem Konzert meine Bilder gezeigt wurden, die dann freilich vierzehn Tage zu sehen waren. Ähnlich wird es in Chur gehalten werden, wo an der Musikschule ein Konzert von Lehrern und eines von Schülern durchgeführt wird mit gleichzeitiger Präsentierung einer Anzahl von Bildern.

 

Das Problem der Doppelbegabung wird bei solchen Anlässen immer aufgerollt, und meist bin ich in Verlegenheit, darauf zu antworten. Die Doppelbegabung gibt es weit mehr als man gemeinhin annimmt; es bestehen auch mehrere Untersuchungen darüber, und einige Autoren wie Herbert Günther und Hans Christoph Worbs haben sich des Phänomens angenommen. Zu erklären ist es nie. Die Doppelbegabung ist einfach da. Frage bleibt immer nur, welche der beiden zur künstlerisch gültigen Äusserung kommt. Der betreffende Artist selber kann das am wenigsten beurteilen. An mir liegt nur immer, auf beiden Gebieten das zu geben, was meiner Kritik standhält. Und so schreibe ich denn Musik und male Bilder.

Zu den Konzerten reise ich, wenn es sich ermöglichen lässt und wenn einer der Malschüler, Andreas Baumann und Beat Müller, meine Koffer trägt, wobei es für die Maler meist Dinge zu entdecken gibt, die sie festzuhalten verlockt. Und die Ausstellungen beschicke ich. Am einfachsten sind die in zweijährigem Turnus folgenden in der Galerie Rathausgasse. Doch kann man auch ein Auto oder einen Bus oder die Kisten eines Spediteurs vollpacken und die Ware nach Zürich, Basel, Winterthur, Baden, Zurzach und Wien senden. An jeder Wand nehmen sich die Bilder anders aus; jede Ausstellung ist eine Erfahrung, meist eine harte, wenn der Maler sich selber gegenüber unnachsichtig ist.

 

Aus: Peter Mieg als Maler. Bearbeitet von Brigitte Müller-Morach. Mit Beiträgen von Peter Mieg, Emil Maurer, Jean Rudolf von Salis, Edmond de Stoutz. Herausgegeben von der Ortsbürger-Kommission der Stadt Lenzburg. Lenzburg 1984.